„Hier gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, viel mehr als wir bewältigen können, und das ist großartig”, erklärt Marc Verbiest. Er wurde in das niederländische Konsulat in München als Vertreter der Provinz Noord-Brabant in den Niederlanden entsandt. Dort bringt er brabantische Unternehmen und Wissenseinrichtungen mit denen aus den deutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg zusammen.
„Mit rund 30 Millionen Einwohnern ist der süddeutsche Markt um ein Vielfaches größer als derjenige von Nordbrabant. In Deutschland zieht man sofort Aufmerksamkeit auf sich, wenn man Lösungen für gravierende Probleme wie die Energiewende, neue Formen der nachhaltigen Mobilität oder im Gesundheitssektor hat. Auch während dieser aktuellen Coronakrise.”
Geplante langfristige Maßnahmen
So wurde Verbiest zum Beispiel gebeten, im Namen von Unternehmen in Brabant, die neue Beatmungsgeräte anbieten wollen, nach Möglichkeiten auf dem deutschen Markt zu suchen. Obwohl diese Art von Anfragen eher ad hoc Initiativen sind. Ein Großteil der Arbeit des Repräsentanten sei über einen langen Zeitraum geplant, um solide Kontakte und Netzwerke aufzubauen, erklärt er.
In Deutschland sind persönliche Kontakte besonders wichtig. „Telefongespräche funktionieren nicht so gut, wie sie sollten. Man muss wirklich da sein und die richtigen Leute kennen lernen.” Deshalb hat sich die Provinz für einen Vertreter in München entschieden, um es deutschen Unternehmen zu erleichtern, mit niederländischen in Verbindung zu kommen.
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Verbiest arbeitete viele Jahre für Siemens in Deutschland, bevor er in die Provinz Noord-Brabant kam. Als er vor vier Jahren diese Tätigkeit aufnahm, hatte er bereits ein Netzwerk aufgebaut. Dieses Netzwerk sei enorm gewachsen, als er nach München entsandt wurde, sagt Verbiest weiter. „Je größer das Netzwerk, desto mehr Einblick hat man, wo man sein muss, und desto mehr Chancen hat man, eine Übereinstimmung zu finden.“
Vorschläge bis ins kleinste Detail ausarbeiten
„Beziehungsmanagement“, wie Verbiest es nennt, ist das Leitmotiv seiner Arbeit. In den vielen Gesprächen, die er führt, hört er, was vor sich geht. Man sieht zum Beispiel, dass einige Unternehmen aus Baden-Württemberg seit Jahren ein wunderbares und solides Produkt herstellen, was sie zum Marktführer in einem kleinen Markt macht. Diese Firmen fühlen sich jetzt bedroht, weil eine chinesische Firma dieses sehr perfekte Produkt zu einem Bruchteil des Preises reproduzieren kann.
„Süddeutsche Unternehmen sind hochwertige High-Tech-Unternehmen. Brabanter Unternehmen tendieren ebenfalls dazu. Deshalb wissen wir, dass es nötig ist, die Dinge schriftlich festzuhalten und Vorschläge im Detail auszuarbeiten.“ Der Unterschied liegt in der Größe. Ein kleines und mittleres Unternehmen in Süddeutschland kann leicht auf rund 1.000 Mitarbeiter anwachsen. In den Niederlanden und speziell in Brabant hingegen geht es um ein paar Dutzend bis Hunderte. „Kleinere Unternehmen passen sich schneller an. Das können deutsche Unternehmen im Wettbewerb mit China ausnutzen.“
Weil die Niederlande so klein sind, sind die Niederländer traditionell an Kooperationen gewöhnt, so Verbiest weiter. Brabant-basierte Open-Innovation-Campusse wie der Brainport Industries Campus und der Pivot-Park-Campus für Biowissenschaften zeigen, wie weit diese Zusammenarbeit geht. Hier arbeiten Unternehmen und Wissenseinrichtungen gemeinsam an Lösungen für die Zukunft. „Dies sind gute Beispiele für unsere Innovationskultur. Wir wissen, wo wir uns gegenseitig sehr schnell finden können. Wenn etwas getan werden muss, gehen wir auch noch einen Schritt weiter, um es gemeinsam zu erledigen.“
Innovationsmissionen in Brabant
Gemeinsam mit dem niederländischen Konsulat, der Brabant Development Agency (BOM) und der Netherlands Enterprise Agency (RVO) organisiert die Provinz No0rd-Brabant Handels-Missionen. Oder Innovations-Missionen, wie die Provinz sie gerne nennt. Der Repräsentant der Provinz besucht immer wieder relevante Messen und Netzwerktreffen sowie Unternehmen und Wissenseinrichtungen auch aus Brabant. So erhält er oft einen Einblick in die Unternehmen. Daraufhin folgen Gespräche. Wenn ein brabantisches Unternehmen einem deutschen Unternehmen vorgestellt wird, endet damit die Rolle des Brabanter Vertreters. Die Unternehmen kümmern sich um die geschäftliche Seite der Dinge. “Es liegt an einem Unternehmen, selbst zu entscheiden, ob es eine echte Chance ist oder ob es ein zu großes Risiko darstellt.“
„Sehen Sie, man muss multinationalen Unternehmen wie Philips, NXP, ASML und VDL nicht helfen. Sie tun es auf eigene Faust.” Die niederländische Handelskammer, die Entwicklungsgesellschaft Brabant (BOM) und die Provinz Noord-Brabant bieten vor allem kleinen und mittleren Unternehmen Chancen, ihren Markt in Süddeutschland zu erweitern. Als Vertreter ist Verbiest das „Gesicht” der Unternehmung. Die Provinz und Organisationen wie die BOM bestimmen, auf welche Märkte man sich konzentrieren sollte, wer die interessantesten Parteien sind und wie man mit den richtigen Leuten in Kontakt treten kann.
Automobilindustrie und integrierte Photonik
„Hier in Deutschland zum Beispiel ist die Automobilindustrie riesig. Sie steht vor einem großen Wandel. Aufgrund der Art und Weise, wie sie Innovation betreiben, können die brabantischen Unternehmen in dieser Hinsicht einen Mehrwert bieten. Zum Beispiel mit der neuen Technologie der ‚integrierten Photonik’. Chips, die nicht mit Strom, sondern mit Licht betrieben werden. Das macht sie viel kleiner, billiger und zuverlässiger”, sagt Giuseppe Coppola, ein Geschäftsstratege des niederländischen PhotonDelta-Netzwerks.
Bis Ende 2018 haben die niederländische Regierung, Unternehmen und Wissenseinrichtungen gemeinsam 236 Millionen Euro in PhotonDelta investiert, um die Entwicklung der integrierten Photonik zu beschleunigen. Coppola bezeichnet das Netzwerk als „One-Stop-Shop”. „Wir diskutieren mit einem Kunden, was die integrierte Photonik leisten kann, und bringen dann die Parteien zusammen, um das zu verwirklichen. Brabant ist zusammen mit der Technischen Universität Eindhoven und Unternehmen wie SMART Photonics und Effects Photonics führend in der Entwicklung der integrierten Photonik.“
Diese winzigen photonischen Chips können auch in einem fahrenden, autonomen Auto nützlich sein, etwa bei der Identifizierung und Erkundung der Umgebung, sagt Verbiest. Da die Chips Informationen mit Licht übertragen, sind sie viel schneller als Chips, die mit Strom betrieben werden. Ein fahrendes autonomes Auto muss in der Lage sein, schnell auf die Situation auf der Straße zu reagieren. „Mit photonischen Chips kann man ein System bauen, das die erforderliche Geschwindigkeit hat. Die integrierte Photonik bietet große Chancen für die deutsche Automobilindustrie.“
Schnelle Diagnose und Überwachung
Auch im Gesundheitssektor sieht Coppola Chancen: „Das Gesundheitswesen steht unter Druck. Die Kosten steigen ständig. Und mit der aktuellen Corona-Krise besteht vielleicht ein noch dringenderer Bedarf an Prävention, schneller Diagnostik und Fernüberwachung. Diese Chips ermöglichen es, wesentlich kleinere, billigere und dennoch hochpräzise medizinische Geräte zu bauen. Zum Beispiel solche für Augenuntersuchungen und Krankheitsdiagnosen. Ein Allgemeinmediziner könnte dann erste Untersuchungen durchführen.“
Deutschland ist ein wichtiger Markt für PhotonDelta. „Wir sind entschlossen, auf globaler Ebene zu operieren. Da es sich um eine neue Technologie handelt, die sich erst noch bewähren muss, ist es wichtig, viele persönliche Gespräche und Diskussionen über ihre Möglichkeiten zu führen.“ Deshalb hat sich das Netzwerk für Deutschland entschieden, „es liegt geographisch nahe und unsere Kulturen sind sehr ähnlich.“
Coppola baut seine eigenen Kontakte in Deutschland auf, aber Verbiest öffnet ihm auch Türen. Coppola: „Der Repräsentant fungiert als eine Art Wegweiser. Wenn man eine Idee hat und ein Unternehmen besuchen will, dann versucht er über sein lokales Netzwerk, den Kontakt herzustellen. Wenn das klappt, komme ich dazu und gehe mehr ins Detail.” Zusammen mit Verbiest organisierte Coppola einen Workshop über integrierte Photonik, den er und das deutsche Fraunhofer HHI-Forschungsinstitut während der „Photonics days” Ende Oktober in Berlin ausrichten werden. Coppola ist auch einer der Redner auf dem MedtecLIVE-Gipfel in Nürnberg Ende Juni (oder später, falls der wegen des Coronavirus verschoben wird).
Verbiest: „Unsere Volkswirtschaften passen perfekt zusammen. Das sollten wir voll ausnutzen. Denn hier gibt es so viel Geschäftspotenzial, wenn es darum geht, gemeinsam an den Lösungen der Zukunft zu arbeiten.“