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Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Eveline van Zeeland, Eugene Franken, Katleen Gabriels, PG Kroeger, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla, Willemijn Brouwer und Colinda de Beer geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, die manchmal durch Gastblogger ergänzt werden, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Bitte lesen Sie hier die bisherige Episoden.

2012 markierte eine Zäsur im Individualverkehr. Teslas erste Elektrolimousine erschien und schickte sich an, die Welt zu verändern. Die klassischen OEMs waren ob des Erscheinens der ersten Luxuslimousine ohne lokale Emissionen tiefenentspannt – und kaum ein Hersteller erkannte die Relevanz des Stromers. Bis es fast zu spät war.

Aufholjagd der klassischen Hersteller

Die Elektromobilität wirbelte die Autoindustrie durcheinander. Vor allem chinesische Hersteller konzentrierten sich auf den neuen Antrieb. Ihre Überlegungen dazu sind nachvollziehbar: warum noch groß in den Verbrennungsmotor investieren, dessen Tage gezählt sind und gigantische Summen aufbringen, um den Anschluss an die westlichen OEMs zu bekommen. Pragmatisch entschied man sich für die Konzentration auf den Elektroantrieb. Neue Marken wie NIO, XPENG und ZEEKR entstanden. 

Die europäischen wie US-amerikanischen OEMs waren allesamt spät auf der Party erschienen. Das sollte sich in den Jahren 2019 – 2022 ändern, die Aufholjagd ist seitdem in vollem Gange.

Verabschiedung vom Wasserstoff

Um konkurrenzfähig zu bleiben, hat man inzwischen die Weiterentwicklung des Brennstoffzellenantriebs für Pkw weitgehend aus wirtschaftlichen Gründen auf Eis gelegt. Mercedes-Benz und der VW-Konzern sind ganz ausgestiegen, allein BMW bleibt, wie das gallische Dorf aus Asterix  und Obelix, in Europa weiter standhaft und legt gerade eine Kleinserie eines iX5 Hydrogen auf.

Das Lkw-Geschäft ist anders

Ganz anders beim Lkw-Geschäft. Hier setzen die meisten Hersteller auf batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Antrieb. Die Brennstoffzelle für die Langstrecke und die Batterie für die mittleren und Kurzstrecken.

Seit 1. Dezember 2022 könnte sich auch diese Strategie als fehlerhaft erweisen. Tesla scheint den Stunt um die Elektromobilität zu wiederholen. Diesmal könnten die Amerikaner den Schwerlastverkehr revolutionieren. „Könnten“, denn viele Parameter liegen noch im Dunkeln. 

800 Kilometer mit voller Ladung

Zwar schaffte der Semi in einer Testfahrt vollbeladen 800 Kilometer, aber bis dato ist nicht bekannt, wieviel Zuladung der Lkw tatsächlich dabei hatte, denn die Informationen zu Batteriegewicht und damit dem Gewicht der Zugmaschine wurden nicht veröffentlicht. Zudem kennt niemand außerhalb des Unternehmens den derzeitigen Anschaffungspreis eines Tesla Semi. Das macht eine TCO-Berechnung ziemlich unmöglich.

Trotzdem scheint der Semi aber so revolutionär zu sein, wie weiland die Model S, X, 3 und Y zu ihrer Zeit. 800 Kilometer sind selbst für europäische Verhältnisse mehr als ausreichend, wenn man die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten beachtet.

Lkw-Fahrer dürfen innerhalb von 24 Stunden neun Stunden am Steuer sitzen. Zweimal die Woche darf die Lenkzeit auf 10 Stunden erhöht werden. Spätestens nach 4,5 Stunden müssen 45 Minuten Pause gemacht werden – in diesen 45 Minuten könnte ein Semi bereits wieder so viel Strom nachgetankt haben, dass der Rest der Lenkzeit ohne weiteres Nachladen bis zum ersten langen Stopp absolviert werden kann.

Infrastruktur

Das funktioniert freilich nur mit einer passenden Infrastruktur, die unter anderem genügend MegaCharger zur Verfügung stellen muss. MegaCharger sind in der Lage Ladeleistungen bis zu 1 MW zur Verfügung zu stellen.

Im Gegensatz zu Wasserstofftankstellen dürfte der Installationspreis von MegaChargern günstiger ausfallen. Größte Unbekannte ist und bleibt jedoch die Entwicklung der Energiepreise – vor allem in Deutschland. Die Energiewende und die derzeitige Energiekrise bringen es mit sich, dass sich ein Elektro-Lkw momentan besonders schlecht rechnet. Anders sieht es im übrigen Europa aus – vor allem die skandinavischen Länder könnten hier profitieren, sowohl bei Preis- als auch vom Emissionsniveau.

Darüber hinaus ergeben sich auch Probleme hinsichtlich der Ruhemöglichkeiten an den Autobahnen. Bereits heute sind viele Rastplätze über Nacht völlig überbelegt.

Die „Verkehrswende“

Die Verkehrswende in Europa könnte klappen, vorausgesetzt Deutschland kann seine verkorkste Energiewende auf eine sichere Basis stellen. Danach sieht es derzeit nicht aus. Neben Polen sind die Emissionen pro kWh dort derzeit die höchsten auf dem Kontinent. Das wird sich auch zukünftig kaum ändern, weil beim Energiemix weiter falsche Prioritäten gesetzt werden. Auch die Energiepreise in Deutschland sind die höchsten in ganz Europa.

Ist der Wasserstoff-Lkw also erst einmal auf Eis gelegt?

Kaum. So wie BMW weiter auf die Brennstoffzelle setzt, dürften auch die großen Lkw-Hersteller weiter Technologieoffenheit praktizieren. Faktisch wird es aber der Markt regeln, für Spediteure zählt nicht die Technologie sondern TCO und Infrastruktur. 

Gut möglich, dass Musk dann mit dem Semi seinen Stunt wiederholen kann.