Die Weltmeisterin über 3000 m Bahn (2018) und Paraolympiasportlerin Denise Schindler ist mit ihrer Unterschenkelprothese der beste Beweis, zu welcher Leistung Menschen mit Bein- oder Armamputationen dank einer Prothese fähig sind. Vor allem, wenn das Modell digital perfekt angepasst wird und per 3D-Druck in kürzester Zeit und bester Qualität zu haben ist. Wie das geht – und auch, welche Hürden der innovative Ansatz von Mecuris in der eher handwerklich-traditionell verankerten Orthopädie-Szene zu überwinden hatte -, beschreibt Manuel Opitz, der gemeinsam mit Wolf-Peter Werner sowie Jannis Breuninger das Münchener Start-up gründete.
Manuel Opitz, Co-Founder und CEO Mecuris GmbH, im Interview
Start-up: weitere IO-Interviews
Wie kamen Sie auf die Idee zur Gründung von Mecuris?
Mecuris ist aus zwei unterschiedlichen Forschungsprojekten hervorgegangen: Jannis Breuninger hat am Fraunhofer IPA in Stuttgart zu additiv gefertigten Prothesen und Prothesenfüßen geforscht und bereits 2007 die weltweit erste 3D-gedruckte Oberschenkelprothese hergestellt. Dr. Simon Weidert ist Unfallchirurg an der Münchner Uniklinik (LMU) und stand vor dem Problem, passende Orthesen für Patienten zu finden. Deshalb hat auch er angefangen, mit 3D-Druck zu experimentieren. Beide Projekte hatten das gleiche Ziel: Die Erstellung orthopädischer Hilfsmittel mit 3D-Druck zu individualisieren und zu digitalisieren. Aus dieser Idee ist dann Mecuris entstanden. Unser Gründerteam hat sich ab 2014 im Umfeld der Münchner Hochschulen und Kliniken kennengelernt und Schritt für Schritt erweitert.
Vor allem MUST Munich, ehemals 3D-Printing Cluster, hat uns eine hervorragende Gelegenheit zur Vernetzung geboten. 2016 wurde Mecuris dann als Spin-off des Ludwig-Maximilian-Universitätsklinikums München gegründet. Mittlerweile beschäftigen wir rund 30 Mitarbeiter aus aller Welt und wachsen stetig weiter.
Wie viele Unternehmen Ihrer Art gibt es schon und wo sehen Sie die speziellen Einsatzbereiche/Vorteile Ihres Produktes?
Unser Fokus ist die Digitalisierung der gesamten Prozesskette in der Orthopädietechnik-Branche – damit sind wir die ersten. Wir begleiten Orthopädietechniker auf dem Weg in die Digitalisierung und ermöglichen es ihnen, Prothesen und Orthesen für die Träger digital und individuell zu gestalten und maßzuschneidern. Die Mecuris Solution Platform haben wir als “digitale Werkstatt” so konzipiert, dass sie einen fertigen Workflow anbietet. Das heißt die Orthopädietechniker können damit intuitiv arbeiten, ohne sich vorher Kenntnisse in Programmierung oder 3D-Druck aneignen müssen. Im Prinzip benötigen sie nur einen Scanner und unsere Plattform – das war’s. Das Beste ist, dass der OT auch den Anwender selbst aktiv in den Gestaltungsprozess einbinden kann: Gemeinsam wählen sie z.B. die Designs auf der Plattform aus oder können, vor allem bei den Covern, sogar eigene Muster, Bilder und Texte integrieren. So entsteht ein völlig individueller Entwurf.
Was war die größte Hürde, die Sie als Start-up in dieser eher langatmigen Branche anfangs überwinden mussten?
Die Orthopädietechnik ist tief im traditionellen Handwerk verankert. Wir mussten lernen, dass die Digitalisierung viel mehr Zeit braucht, als wir ursprünglich geplant hatten. Daher stehen wir jetzt an einem anderen Punkt, als wir vor zwei Jahren gedacht haben. Das hat aber auch etwas Gutes: Digitale Lösungen haben sich mittlerweile rasant weiterentwickelt. So haben sich für uns mittlerweile ganz neue Möglichkeiten eröffnet, die bei unserer Gründung noch nicht denkbar gewesen wären. Ans Aufgeben haben wir aber nie gedacht. Wir sind nach wie vor überzeugt von der Idee, der Bedarf ist da und wir bekommen auch entsprechendes Feedback. Die Frage war dann eher, wie setzen wir es am besten um? Wichtig ist uns immer, dass wir aus Rückschlägen lernen und schlauer und stärker daraus hervorgehen.
Was hat Sie in Bezug auf die Gründung besonders stolz gemacht?
Wir haben es als einzige Firma geschafft, weltweit individuelle Prothesenfüße in jeder Größe mit dem 3D-Drucker herzustellen – sogar für kleinste Kinder. Für diese gab es bisher nur Holzfüße, wie im 19. Jahrhundert. Mit der Entwicklung unseres FirSteps haben wir eine Lücke im Versorgungssystem geschlossen. Stolz sind wir natürlich auch auf die Förderungen und Auszeichnungen, die wir bisher erhalten haben. Vor ein paar Wochen haben wir zum Beispiel die EIT Digital Challenge 2019 in der Kategorie Wellbeing gewonnen.
Worauf dürfen wir uns bzw. Betroffene sich in den nächsten Jahren freuen?
Zu Beginn des Jahres 2020 werden wir einen großen Schritt in der Digitalisierung der Orthetik lancieren. Ende März haben wir den Rollout dieses Workflows für Orthetikprodukte auf der Mecuris Solution Platform geplant. Im Moment testen wir diese digitale Orthesenwerkstatt bereits mit ausgesuchten Partnern. Im Fokus stehen dabei Orthesen für den Unterschenkel, wie die Erstellung von Nachtlagerungsschienen. Das ist eine Orthese, die vor allem bei Kindern angewendet wird, um Fehlstellungen in der Nacht zu korrigieren. Danach wollen wir auch Unterschenkelorthesen für tagsüber in den Workflow integrieren, sogenannte Fußheberorthesen.
Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in 5 Jahren?
Wir wollen weltweit eine Schlüsselposition im Bereich digital hergestellter Orthesen und Prothesen einnehmen. Deshalb arbeiten wir schon jetzt an einem globalen Partner-, Vertriebs- und Druckzentrums-Netzwerk. Die Mecuris Solution Platform wollen wir bis dahin noch um viele neue Funktionen und digitale Werkzeuge erweitern. Zentral ist für uns außerdem die kontinuierliche Verbesserung unseres Service. Der Prozess soll für Anwender noch benutzerfreundlicher und schneller werden.
Welche Tipps haben Sie zum Abschluss für andere Gründer?
Wenn ihr ein Gründungsteam zusammenstellt, achtet darauf, dass es heterogen ist – in vielerlei Hinsicht. Am besten habt ihr Personen unterschiedlicher Altersgruppen, Hintergründe, Erfahrungen und Expertisen. Das war besonders für uns essenziell, da bei uns verschiedene komplexe Themen wie Medizintechnik, Software und 3D-Druck eine Rolle spielen. Bei der Gründung gab es in unserem Team zum Beispiel einen Unfallchirurgen sowie Experten aus den Bereichen additive Fertigung und parametrisches Design, Software, Business, Finance sowie einen Generalisten. Ich denke, davon profitieren auch Gründungsteams in anderen Branchen.