So lange es Verbrennungsmotoren gibt, macht es Sinn, diese in puncto Schadstoffemissionen und erneuerbare Treibstoffe zu optimieren. Ein Ansatzpunkt sind die Ventile zur Zu- und Abfuhr der Gase. Hier sind bei den Motorenkonstrukteuren insbesondere hohe Flexibilität, um die Effizienz zu verbessern, die Schadstoffemissionen zu senken und erneuerbare Treibstoffe optimal einsetzen zu können, gefragt. Bislang werden die Gaswechselventile von Viertaktmotoren über Nockenwellen angesteuert. Trotz teilweise aufwändiger Zusatzmechanik bleibt die Flexibilität solcher Motoren begrenzt. An der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa wurde nun ein elektrohydraulisch betätigter Ventiltrieb entwickelt. Sein Vorteil: Er ermöglicht eine völlig freie Verstellbarkeit von Hub und Steuerzeiten. Gleichzeitig ist er robust und preisgünstig zu realisieren. Der Empa-Ventiltrieb wurde auf einen Serienmotor aufgebaut. Mittlerweile läuft er seit mehreren Monaten erfolgreich im Prüfstandbetrieb. Das Ergebnis bislang: In für Personenwagen typischen Betriebszutänden spart die neue Technik bis zu 20 Prozent Treibstoff.
Der Ventiltrieb ist das „Atmungsorgan“ von Verbrennungsmotoren: Er steuert die Zufuhr von Frischluft und die Ableitung der Abgase, was als „Gaswechsel“ bezeichnet wird. Dazu werden heute ausschließlich mechanisch angetriebene Nockenwellen in Serie eingesetzt. Diese sind häufig mit einer teilweise recht aufwändigen Zusatzmechanik ausgerüstet. Was wiederum nur die Modifikation ein von der Nockenwelle vorgegebenes Ventilbewegungsmuster mit erhöhter Reibung ermöglicht. Auch ist die Flexibilität nicht im gewünschten Maß gegeben. Somit sind – unter anderem zur Anpassung an wechselnde Treibstoffeigenschaften – schnelle Ventilbewegungen auch bei niedrigen Drehzahlen, Hubanpassungen und zylinderselektive breit variable Ventilsteuerzeiten vonnöten.
Optimierter Gaswechsel und weniger Reibung sparen Treibstoff
Und genau einen solchen, elektrohydraulischen Ventiltrieb, haben nun Patrik Soltic, Projektleiter in der Abteilung Fahrzeugsantriebssysteme der Empa, und sein Team gemeinsam mit dem Hydraulikspezialisten Wolfgang Schneider erfunden.
Das von ihnen entwickelte System namens „FlexWork“ ist gegenüber heutiger Serientechnik deutlich flexibler. Die Ventile werden hydraulisch betätigt und einzeln über eine Magnetspule elektrisch angesteuert. Sobald ein Steuerstrom fließt, öffnet sich ein speziell ausgelegtes Hydraulikventil. Dieses erlaubt, dass Hydraulikflüssigkeit das Gaswechselventil in Millisekunden gegen eine Feder auf den gewünschten Hub öffnet. Wird der Strom abgeschaltet, schließt sich das Gaswechselventil durch die Federkraft wieder. Dabei speist es den Großteil der zum Öffnen benötigten, hydraulischen Energie zurück in das Hydrauliksystem. Das System erreicht über weite Betriebsbereiche einen deutlich geringeren Energiebedarf als nockenwellengetriebene Systeme. So ist im Vergleich zu klassischer Laststeuerung mittels Drosselklappe in Kombination mit einer Ventilsteuerung über Nockenwellen der Treibstoffverbrauch des Versuchs-Ottomotors im für Personenwagen typischen Tieflastastbereich rund 20 Prozent geringer. Die Forscher achteten bei ihrem Versuch zudem auf einen optimierten Gaswechsel.
Anpassungsfähig für erneuerbare Treibstoffe
Durch die Wahl der Betriebsparameter können Öffnungs- und Schließzeit sowie der Ventilhub für jeden Zylinder völlig frei eingestellt werden. Damit kann jeder Motorbetriebszustand von Arbeitszyklus zu Arbeitszyklus verändert werden. So auch durch eine intelligente Lastregelung, durch die Wahl der im Zylinder verbleibenden Restgasmenge, der sogenannten Abgasrückführung oder auch durch eine für den Fahrer nicht bemerkbaren Deaktivierung nicht benötigter Zylinder. Dies macht den Motor höchst anpassungsfähig für neue erneuerbare Treibstoffe: Denn sauerstoffhaltige Treibstoffe wie Methanol oder Ethanol erlauben es, mehr Restgas im Zylinder zu belassen. Erdgas, Biogas und aus Wind- und Solarstrom erzeugtes Synthesegas, besitzen erhöhte Klopffestigkeit. Auch darauf kann der Ventiltrieb flexibel reagieren. Zudem lassen sich alternative Verbrennungskonzepte, wie beispielsweise eine homogene Selbstzündung vergleichsweise einfach realisieren. So wird ein Treibstoff-Luft Gemisch durch die Einstellung der korrekten Bedingungen gegen Verdichtungsende im richtigen Moment ohne Zündfunken selbst entflammt und praktisch schadstofffrei verbrannt.
Zylinderkopf ohne Öl
Eine weitere Spezialität des an der Empa aufgebauten Systems ist die Wahl der Hydraulikflüssigkeit: Anstatt wie üblich ein Öl zu verwenden, wird ein Wasser-Glykolgemisch, also Motorkühlwasser, eingesetzt. Dieses Medium eignet sich aufgrund der physikalischen Eigenschaften sehr gut für schnell schaltende hydraulische Systeme, da es sehr steif ist und folglich weniger Verluste verursacht. Dadurch wird der Zylinderkopf komplett ölfrei, was dazu führen kann, dass für den restlichen Motor ein einfacheres Motorenöl mit längeren Wechselintervallen eingesetzt werden kann.
Mehrere Monate Versuchsbetrieb
Im Rahmen des vom BFE geförderten FlexWork-Projekts wurde der neue Ventiltrieb in einem mit Erdgas betriebenen – von einem VW-1.4l TSI-Motor abgeleiteten – Personenwagenmotor in Betrieb genommen. Die erforderlichen Bauteile fertigte die Versuchswerkstatt der Empa. Das Steuerungssystem für den Versuchsmotor entwickelten die Empa-Forscher selbst. Der Ventiltrieb läuft seit Oktober 2018 auf einem Motorprüfstand der Empa und hat bereits viele Millionen Betätigungen im befeuerten Motorbetrieb problemlos überstanden.
Weiterer Vorteil: Die FlexWork-Ventilsteuerung kommt dabei mit preisgünstigen Komponenten aus. Es werden keine teuren, sehr schnell schaltenden Ventile und keine aufwändige Sensorik benötigt. Das Ventiltriebsystem wurde am 16. August der Fachwelt in der Motortechnischen Zeitschrift (MTZ) vorgestellt. Derzeit ist die Empa in Gesprächen mit Motorenherstellern für den Transfer dieser Technologie. Diese eignet sich übrigens nicht nur für Verbrennungsmotoren, sondern auch für Kompressoren.