Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt. In den kommenden Jahren werden sogar Mega-Citys entstehen, in denen mehr als dreißig Millionen Menschen leben und arbeiten. Es ist keineswegs unvorstellbar, dass bis 2025 etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in solchen Metropolen leben werden. Mit durchschnittlich 150.000 Einwohnern können die niederländischen Städte mit dieser Größe nicht mithalten. Um sich über Wasser zu halten, täten die Niederlande gut daran, zusammen mit Flandern und dem deutschen Ruhrgebiet einen Block zu bilden. Peter Savelberg, der Erfinder des Tristate City-Modells, erklärte in dem meistgelesenen Artikel der vergangenen Woche, wie er sich das vorstellt. Savelberg glaubt, dass dieser Block mit insgesamt mehr als vierzig Millionen Einwohnern und Know-how sowie einem hohen Maß an Wohlstand und Gemeinwohl in der Lage wäre, mit Weltstädten wie Hongkong zu konkurrieren.
Eine schlechte Idee?
Eine schlechte Idee, so Zef Hemel, Professor für Stadt- und Regionalplanung an der Universität Amsterdam: „Aus wirtschaftlicher Sicht ist eine solche Metropole überhaupt nicht attraktiv. Außerdem ist dieses Stadtmodell nicht nachhaltig. Ein durchschnittlicher Niederländer erurschat einen weitaus höheren CO2-Ausstoß als jemand in Hongkong. Dort nutzen sie für alles die U-Bahn, während wir hier viele Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs kommen wir schlecht weg, da wir kein nationales U-Bahn-Netz haben. Die Metropolregion Los Angeles hat eines und hat etwa so viele Einwohner wie die Niederlande.”
Hemel stellt klar, dass die Idee, die die Niederlande als eine große Stadt sieht, nicht neu ist. „Premierminister Wim Kok hat das bereits Mitte der 90er Jahre gesagt. Das nationale Straßennetz war gerade fertiggestellt worden, und jeder konnte das Land plötzlich mit hoher Geschwindigkeit in nur zwei oder drei Stunden durchqueren.” Die Idee war, dass es mit der Fertigstellung des Straßennetzes (und dem gleichzeitigen Aufkommen des Internets) keine Rolle mehr spielt, wo jemand ist. „Aber das Gegenteil ist der Fall. Das ist das Paradoxon, in dem wir uns befinden. Seit der Fertigstellung des nationalen Straßennetzes und der Einrichtung des Internets hat eine stärkere Zentralisierung stattgefunden. Der Attraktivitätsfaktor des Zentrums, das in den Niederlanden als Randstad bezeichnet wird, hat sich nur aufgrund der verbesserten Erreichbarkeit erhöht. Jeder will ein Teil davon sein.”
Kein Leben mehr in den Innenstädten
Als Beispiel nennt Hemel den Umzug verschiedener Firmensitze aus den Provinzen nach Amsterdam seit Anfang der 90er Jahre. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist Philips, das 1993 von Eindhoven in die Hauptstadt zog. „Die Konzentration hat seit den 90er Jahren zugenommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Innenstädte nicht mehr belebt sind, Geschäfte leer sind und junge Menschen in die Randstad ziehen, weil ‚da was los ist‘.“
„Dieses Phänomen zeigt sich auch im Gesundheitswesen. Durch die Zusammenlegung von Krankenhäusern, immer mehr in Richtung Großstadt, haben die Regionen Probleme. Der Standard für Krankenwagen, innerhalb von 45 Minuten ein Erstversorgungszentrum zu erreichen, ist in Gefahr und Patienten außerhalb der Randstad müssen weitere Strecken fahren, um in ein gutes Krankenhaus zu kommen.“
Universität = Vielfalt
Auch beim Thema Innovation sieht Hemel für die Niederlande keinen Vorteil darin, eine Großstadt zu sein: „Städte spielen eine wichtige Rolle in der Wissensgesellschaft. Eine gute Universität mit Labors und Forschern auf dem Campus reicht nicht aus.“
„In Amerika gibt es Universitätsstädte, in denen die Talente nach dem Abschluss wegziehen. Interessant wird es erst, wenn eine Universität in den Ballungsraum eingebettet ist. Dann kann eine Universität von der räumlichen Nähe und der Verfügbarkeit komplexer Ökosysteme profitieren. In New York gibt es Columbia, Cornell-Tech und NYU. Diese Universitäten gehören zu den besten der Welt. Das spiegelt sich auch in den Ranglisten wider, da es staatliche Universitäten wie die City University of New York (CUNY) gibt, die besser abschneiden als niederländische Universitäten. Denn sie alle profitieren von der Vielfalt und kritischen Masse New Yorks, mehr Menschen und einer breiteren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Weniger Kilometer Staus, weil alle das U-Bahn-Netz nutzen.”
Hemel glaubt, dass die Niederländer die falsche Mentalität haben, um im Sinne einer Metropole zu denken: „Wir mögen es nicht, wenn Menschen ihre eigene Werbetrommel rühren. Es gibt das holländische Sprichwort: ‚Doe maar gewoon dan doe je al gek genoeg‘ – (was bedeutet: „Benimm dich normal, das ist verrückt genug”. d.Red.) Das Gleiche gilt für die Universitäten. Hier gibt es weniger Spannungen und weniger Unterschiede zwischen den Universitäten. Aber das ist notwendig, um voranzukommen.”
Akzeptanz ist noch lang nicht erreicht
Die räumliche Konzentration beschränkt sich nicht nur auf die Niederlande: „In der Vergangenheit dachten wir fälschlicherweise, das sei nur in Entwicklungsländern der Fall. Aber es geschieht auch in Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und Kanada. Toronto hat in Kanada eine starke magnetische Anziehungskraft. Ich denke, wir sollten uns nicht weiter dagegen wehren, sondern dieses Phänomen akzeptieren. So können wir uns darauf vorbereiten.”
Aber der Professor hat diese Akzeptanz bisher kaum gesehen. Ihm zufolge tun verschiedene Ministerien in den Niederlanden alles in ihrer Macht Stehende, um die Lage zu verbessern.
„Die Regierung versucht, die Ausweitung der Stadtentwicklung außerhalb der Großstädte durch alle Arten von Regionalprogrammen so weit wie möglich zu fördern. Ich kann eine beträchtliche Anzahl von Initiativen aufzählen, die den Regionen helfen, zu wachsen und voranzukommen. Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre es sinnvoller zu akzeptieren, dass die Vernetzung zu einer stärkeren räumlichen Konzentration führt. Es ist möglich, die Niederlande als eine große Stadt zu sehen, aber wir sollten nicht denken, dass dies alles ausgleichen wird.” Hemel ist überzeugt, dass dieses Modell unweigerlich zu großen Unterschieden zwischen städtischen und ländlichen Gebieten führen wird. Hemel: „Es ist eine Illusion, dass wir die Einwohner in einer großen, landesweiten, grundverschiedenen und aufgeteilten Stadt halten können.”