Bald könnten lange Wartezeiten auf Laborwerte vorbei sein. Denn ein interdisziplinäres Forschungsteam rund um Wolfgang Ensinger, Professor für Materialwissenschaften, und Helmut Schlaak, Professor für Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt entwickelten nun gemeinsam mit Ivana Duznovic, Chemikerin, und Mario El Khoury, Elektrotechniker, einen Prototypen für ein „Lab-on-a-Chip”-System. Dieser erfasst Substanzen direkt vor Ort.
Inspiriert durch biologische Nanoporen
Inspiriert wurden die Wissenschaftler dabei von der Natur. Denn biologische Nanoporen, die in die Zellmembranen integriert sind, sorgen dafür, dass Substanzen von außen nach innen oder von innen nach außen transportiert werden. Dabei funktionieren sie entweder als Schleusen oder als selektive Transportsysteme. Eine weitere Besonderheit: Sie sind auf bestimmte Substanzen spezialisiert.
Bisher gibt es noch kein technisches System, das es mit der Sensitivität und Spezifität der biologischen Nanoporen aufnehmen kann. Ihre Leistungsfähigkeit ist unerreicht. Biologische Nanoporen selbst sind allerdings für eine technische Anwendung ungeeignet. Denn sie sind schlichtweg zu fragil.
Ensinger und Duznovic setzen daher auf synthetische Nanoporen, die sie mit einem chemischen oder biologischen Sensor ausstatten. Dafür werden die Oberflächen der Nanoporen entsprechend funktionalisiert.
„Unser Ziel ist es, eine neue Generation von Sensoren zu entwickeln, die in enger Anlehnung an ihre biologischen Vorbilder eine hohe Empfindlichkeit und Leistungsfähigkeit besitzen“, erklärt Ensinger. „Wenn wir diese bioinspirierten Sensoren dann in ein mikrofluidisches System mit einer tragbaren Auswertelektronik integrieren, wird daraus ein Lab-on-a-Chip-System“, ergänzt Schlaak.
System arbeitet genauso präzise wie Labor
Mikrochips, die Substanzen direkt vor Ort messen, sind ein Traum für Mediziner als auch für Umweltanalytiker. Denn bis jetzt mussten – zur Diagnostik einer Erkrankung oder deren Verlaufskontrolle sowie auch zum Test der Belastung von Abwässern mit Pflanzenschutzmitteln oder Medikamenten -, die Proben ins Labor geschickt werden. Dies wiederum impliziert eine lange Wartezeit auf die Ergebnisse. Mit dem Ziel, eine neue Generation von Sensoren zu entwickeln, die in enger Anlehnung an ihre biologischen Vorbilder hoch empfindlich und leistungsfähig sind, stellte das interdisziplinäre Team der TU Darmstadt nun ihren patentierten „Lab-on-a-Chip“-Prototypen vor. Er ist gerade einmal Checkkartengroß, besitzt aber die Funktionalität eines Labors und arbeitet sogar noch schneller, kostengünstiger und mit weniger Aufwand als ein klassisches Labor. Denn die Werte werden noch während des Besuchs beim Arzt oder am Probenort bestimmt. Nichtsdestotrotz arbeitet das System genauso präzise, robust und zuverlässig wie ein Labor.
Mehrere Verarbeitungsschritte notwendig
Zur Herstellung sind allerdings mehrere Schritte notwendig. Zuerst müssen die synthetischen Nanoporen produziert werden. Das geschieht durch den Beschuss von Polymer-Folien mit Schwerionen. Diese Aufgabe übernimmt das GSI Helmholtz-Zentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Nach dem Beschuss der Folien werden die Nanoporen vergrößert und in eine konische Form gebracht. Sie haben dann eine enge und eine weite Öffnung und sehen aus wie ein Trichter. Vergrößert werden die Nanoporen, indem die Folie von einer Seite mit Lauge behandelt wird.
„Durch den Ätzvorgang entstehen freie Carboxygruppen, über die wir die Nanoporen dann durch Koppelungschemie funktionalisieren können“, erklärt Ivana Duznovic. „Wir können im Grunde alles Mögliche an die Carboxygruppen anhängen. Allerdings sind nur Substanzen sinnvoll, die biologisch oder chemisch relevant sind und mit deren Hilfe wir die für Diagnose oder Umweltanalytik relevanten Biomoleküle mit hoher Spezifität und Sensitivität nachweisen können. Sonst würde der Sensor keinen Sinn machen.“
Nanoporen regenerierbar
Funktionalisiert wurden die Nanoporen unter anderem für den Nachweis von Histamin. Dieser Botenstoff spielt eine zentrale Rolle bei allergischen Reaktionen und könnte auch bei der Alzheimer-Demenz wichtig sein. Der Nachweis, den Ensinger und Duznovic konzipierten, basiert auf einer Verdrängungsreaktion. Eine an die Carboxygruppe gekoppelte Substanz bindet ein Metallion, das auch an Histamin binden kann. Enthält die Probe Histamin, wechselt das Metallion zum Histamin über, was an einem Stromabfall in den Nanoporen zu erkennen ist. Dabei gilt: Je stärker der Strom abfällt, desto mehr Histamin ist in der Probe enthalten. Weil die an die Carboxygruppe gekoppelte Substanz wieder mit dem Metallion beladen werden kann, sind die Nanoporen regenerierbar und können für einen weiteren Nachweis verwendet werden.
Vom Prototypen zum System
Der nächste Schritt ist die Entwicklung des „Lab-on-a-Chip”-Systems.
„Wir haben schon einen funktionierenden Mikrochip, allerdings sind noch einige Probleme zu lösen, weil der Nachweis nicht nur in wässriger Lösung funktionieren soll, sondern auch in einer Blutprobe“, so Schlaak.
Das Team möchte den Chip aus Kostengründen gerne wiederverwerten. Dies ist aufgrund der Regenerierbarkeit der Nanoporen auch grundsätzlich möglich. Deshalb sollte es bei späteren Ergebnissen keine Verfälschungen durch die Erstverwendung geben:
„Wir dürfen keine sogenannten Memory-Effekte haben“, bringt El Khoury das Problem auf den Punkt.
Ein Nadelöhr für die Kommerzialisierung ist auch die Suche nach einem geeigneten Kandidaten für einen entsprechenden Nachweis, etwa für die Medizin.
„Wir brauchen einen Marker, der schon entsprechend validiert worden ist“, erklärt Ensinger. „Es muss sicher sein, dass der Nachweis tatsächlich medizinisch sinnvoll und hilfreich ist, etwa für die Diagnostik, das Screening oder die Verlaufskontrolle einer Erkrankung“, so der Materialwissenschaftler weiter und er fügt an:
„Wir sind derzeit noch auf der Suche nach interessanten Kandidaten und kollaborieren bereits mit der Universitätsklinik in Mainz. Allerdings sind wir offen für weitere Ideen.“
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Ein auf bioinspirierten Nanoporen basiertes „Lab-on-a-Chip”-System lässt sich nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen erarbeiten. Ensinger und Schlaak loben deshalb auch das interdisziplinäre Vorgehen im Rahmen des LOEWE-Schwerpunkts iNAPO. An der Entwicklung waren Chemiker, Biologen, Materialwissenschaftler, Physiker und Elektrotechniker beteiligt.
„Wir sind an der TU Darmstadt für derartige Projekte sehr gut aufgestellt“, freut sich Ensinger. Als nächstes möchte das Team die Oberflächen der Nanoproben für den Nachweis von Proteinen ausrüsten, um damit auch komplexe Biomarker nachzuweisen.