Das Schlechteste, was ein Arthrose-Patient seinen Gelenken antun kann, ist diese übermäßig zu belasten. Die Folgen sind oft Stress für die Gelenke und wochenlange Schmerzen. Gleichzeitig ist eine absolute Schonung auch nicht förderlich. Denn, so Sportorthopäde Professor Stefan Sell vom Institut für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) des KIT:
Bei der Prävention und der Behandlung einer Arthrose-Erkrankung spielen außer Gewicht und Ernährung vor allem das richtige Maß an Bewegung eine wichtige Rolle.”
Das heißt also, der Patient sollte sich am besten jeden Tag eine gewisse Zeitlang intensiv bewegen, aber gleichzeitig zu viel Stress – wie dies etwa eine mehrstündige Wanderung verursachen könnte –, vermeiden.
Algorithmen trainieren mit Bewegungsdaten
Doch wie kann man dies alles richtig einschätzen? Hier das richtige Maß zu finden, ist keine einfache Aufgabe. Nur wenige Menschen oder gut austrainierte Sportlerinnen und Sportler sind in der Lage, die Signale ihres Körpers ohne fachliche Unterstützung richtig deuten.
Grund genug also für ein Konsortium aus Sportwissenschaftlern, Medizinern, Informatikern und Industriepartnern, hier zumindest schon einmal für geschädigte Knie an einer Abhilfe zu arbeiten. Gemeinsam entwickelten sie einen mit Sensoren bestückten Knie-Bandagen-Prototypen, der mit selbstlernenden Algorithmen Belastungen einschätzen soll.
Insgesamt drei Jahre arbeitete das Konsortium an der intelligenten Kniebandage namens „Anthrokinemat“. Diese soll Arthrose-Patienten künftig bei der richtigen Dosierung ihrer alltäglichen Bewegungen unterstützen. Denn das Modell ist mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, die sämtliche relevanten Daten zur Belastung der Gelenke sammeln. Noch bevor der Arthrose-Patient die Belastungsgrenze überschreitet, erhält er Warnsignale auf sein Mobiltelefon. So soll er für mögliche Folgeschäden sensibilisiert werden.
Künstliche neuronale Netze berechnen Überlastung
Als größte Herausforderung bei der bisherigen Entwicklung der Bandage bezeichnet Professor Thorsten Stein, Leiter des BioMotion Centers am Fists, die Suche nach einem passenden Algorithmus zum Quantifizieren der Kniebelastung.
„Die Sensoren können lediglich Bewegung messen, nicht die Belastung an sich. Bei der Arthrose dürfen die Gelenke aber nicht allzu stark belastet werden – und deshalb müssen wir die Kräfte im Innern des Knies möglichst genau einschätzen können”, betont Stein.
Zur Lösung dieses Problems sind Algorithmen des Maschinellen Lernens – künstliche neuronale Netze – im Einsatz. Dabei wird ein Algorithmus mit Bewegungsdaten trainiert: Der Algorithmus lernt im Laufe des Trainingsprozesses automatisch die mit einer Bewegung einhergehenden Kräfte im Knie zu schätzen.
„Die Arthrose ist eine echte Volkserkrankung“, erklärt Stefan Sell.
Laut den offiziellen Statistiken haben in Deutschland rund 35 Millionen Menschen radiologische Zeichen einer Arthrose. Rund zehn Millionen davon sind manifest erkrankt. Weil der Gelenkverschleiß mit steigendem Alter zunimmt, leiden jeder vierte Bundesbürger über 50 Jahre und etwa 80 Prozent der über 75-Jährigen an einer Arthrose. Am häufigsten betroffen ist die Wirbelsäule. Ebenfalls weit verbreitet sind Arthrosen an Knie- und Hüftgelenk.
Gemeinschaftsprojekt von Unis, dem BMWi sowie Unternehmen
Die Grundlagen zur Entwicklung der Bandage schufen in den vergangenen drei Jahren Sportwissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Für ihre Arbeit erhielten sie Fördermittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Partner des Projekts sind die Universität Bremen sowie der Bandagen-Hersteller Bauerfeind und das Sensortechnikunternehmen ITP. In einem zweiten Forschungsprojekt soll nun ein Prototyp entwickelt werden.
Teile dieser Forschungsergebnisse publizierte die Arbeitsgruppen von Sell und Stein kürzlich in der Fachzeitschrift Sensors.