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Ob OLED-Displays oder organische Solarzellen: Wer deren Anwendung optimieren möchte, muss sich mit den Grenzflächen der genutzten Hybridmaterialien auseinandersetzen. Denn der Kombination aus organischen und anorganischen Komponenten kommt eine Schlüsselrolle zu. Genau deshalb gehen Oliver Hofmann und seine Arbeitsgruppe am Institut für Festkörperphysik der TU Graz dieser Fragestellung nach. 

Theorien zum langreichweitigen Ladungstransfer

Kürzlich widmete sich das Team dem langreichweitigen Ladungstransfer. Wichtig zu wissen: Ein Elektronentransfer von einem Material zum anderen tritt bereits im ausgeschalteten Zustand auf, sofern sich im benachbarten Material energetisch günstigere Zustände für die Elektronen befinden. 

Bis dato war sich die Wissenschaft noch nicht einig, wie weit dieser Transfer von Elektronen im organischen Material reichen kann. Die fundamentale Frage lautete also zunächst: Bis in welche Moleküllage hinein findet er statt? So berichten viele Studien, dass sich dieser Effekt bei organisch-anorganischen Grenzflächen auf die erste Lage beschränkt. Das ist jene Lage, in der die organischen Moleküle (organische Schicht) in direktem Kontakt mit der Metalloberfläche (anorganische Schicht) stehen.

Andere Berichte wiederum gehen davon aus, dass der Effekt auch über größere Entfernungen bis zur zweiten Lage oder darüber hinaus reicht. Und genau das macht die Sache interessant: „Wenn es das gibt, könnte man den Effekt für die Senkung des elektrischen Widerstands des Hybridmaterials nutzen und sie dadurch energieeffizienter machen“, erklärt Hofmann sein Forschungsinteresse.

Widerlegung der Hypothesen

Um diesen organisch-anorganischen Grenzflächen noch genauer auf die Spur zu kommen und vor allem langreichweitigen Ladungstransfer nachzuweisen, untersuchten die Forschenden eine Kupfer-Tetracyanoethylen-Grenzfläche (TCNE/Cu(111)). „…da es hier besonders starke experimentelle Daten gibt, die einen langreichweitigen Ladungstransport nahelegen,“ erklärt Hoffmann. Es gibt bis dato keine klare Theorie, wieso manche Systeme diesen Effekt zeigen. Aber Hoffmann und sein Team wollten „dieses Rätsel lösen, um eine Grundlage dafür zu schaffen, wie man Materialien mit der gleichen Eigenschaft herstellen kann.“

Für ihre Analyse nutzen die Wissenschaftler die beiden neuen maschinellen Lernverfahren SAMPLE und BOSS. Durch die Kombination beider Verfahren konnten die Forschenden für die TCNE-Cu-Grenzflächen über zwei Millionen potenzielle Grenzflächenstrukturen identifizieren. Und: Sie konnten das Verhalten der Moleküle unter den diversen experimentellen Bedingungen vorhersagen. Die Ergebnisse zeigten, dass es zu keinem langreichweitigen Ladungstransfer kommt! Stattdessen ändern die Moleküle im System ihre Struktur.

Erfolg durch Duo maschinellen Lernens

Beim Aufbringen von Molekülen behalten diese meist ihre übliche Anordnung. Zudem versuchen sie, sich dichter zusammenzudrängen, bis sie ab einer gewissen Dichte schließlich von der ersten in die zweite Lage wachsen. Anders im TCNE/Cu(111)-System: Hier wechseln die aufgebrachten Moleküle ab einer bestimmten Menge von der ursprünglich liegenden Position in eine stehende. Sie richten sich also auf, um sich noch dichter zusammendrängen zu können. „Stehende Moleküle haben aber einen ganz anderen Ladungstransfer als liegende Moleküle“, erklärt Hofmann und er fügt hinzu: „Die Strukturumwandlung ist experimentell schwer erkennbar, die Messergebnisse ähneln aber jenen von langreichweitigem Ladungstransport.“ Somit widerlegen die Untersuchungen die Hypothese des langreichweitigen Ladungstransfers. Und: Diese neuen Erkenntnisse können zukünftig direkt in die Entwicklung von neuen Materialien einfließen, die die Effizienz elektronischer Bauteile verbessern sollen.

Der Einsatz der kombinierten maschinellen Lernverfahren SAMPLE und BOSS soll zukünftige Experimente in der Materialentwicklung dahingehend unterstützen, dass solche Fehlinterpretationen nicht mehr auftreten. Durch einen tieferen Blick in die physikalischen Vorgänge helfen die neuen Verfahren, dass keine Materialien mehr designt werden, die einem Effekt nachjagen, den es in dieser Form gar nicht gibt. Hofmann unterstreicht den Vorteil der neuen Methode: „Dank der beiden Verfahren können zukünftig Millionen unterschiedlicher Strukturen simuliert werden.“
Details zur Untersuchung veröffentlichten die TU Graz-Forschenden jüngst in Advanced Science.