Am 21. Juni 2019 bricht die russische Raumsonde Spektrum-Röntgen-Gamma (SRG) vom Kosmodrom Baikonur in der kasachischen Steppe zum Lagrange-Punkt 2 auf. Dieser ist einer von fünf Punkten, an denen ein leichter Körper wie eine Raumsonde antriebslos einen massereicheren Himmelskörper umkreisen kann. In seinen etwa 1,5 Millionen Kilometern Entfernung herrscht nämlich ein Kräftegleichgewicht. Somit kann die Sonde gemeinsam mit der Erde die Sonne umkreisen. Mit an Bord der SRG: Das deutsche Röntgenteleskop eROSITA. Sein Name leitet sich von „extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array“ ab. Denn mit seinen insgesamt sieben Röntgendetektoren soll eROSITA den gesamten Himmel beobachten, nach so genannten heißen Quellen wie Galaxienhaufen, Supernova-Überresten, Röntgendoppelsternen sowie Neutronensternen suchen und sie anschließend kartieren. Zusammen mit dem russischen Partnerinstrument ART-XC ist das Ziel der Mission, das Rätsel um die Dunkle Energie – dies ist eine hypothetische Form von kosmischem Kraftstoff, einer Energie, die die beschleunigte Ausdehnung des Universums umschreibt –, zu lösen.
Die Wissenschaftler planen mit Hilfe von eROSITA sozusagen eine kosmische Inventur des heißen Universums:
eROSITA’s Röntgenaugen sind die besten, die jemals auf einem Weltraumteleskop gestartet sind. Ihre einmalige Kombination aus Lichtsammelfläche, Gesichtsfeld und Auflösung machen sie circa 20-mal so empfindlich wie das deutsche Teleskop ROSAT in den 1990-er Jahren…“
…, betont Dr. Walther Pelzer, Vorstand im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zuständig für das Raumfahrtmanagement, mit dessen Unterstützung eROSITA vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik (MPE) gebaut wurde. Und er ergänzt: „So wird eROSITA uns dabei helfen, die Struktur des Kosmos und dessen Entwicklung besser zu verstehen. Insbesondere wird das deutsche Teleskop aber dazu beitragen, das Rätsel der Dunklen Energie zu lösen.”
Kontinuierliche Expansion des Universums
Denn: Unser Universum dehnt sich seit dem Urknall kontinuierlich aus. Noch bis in die 1990er-Jahre hatte man gedacht, dass diese kosmische Expansion langsamer wird und irgendwann zum Stillstand kommt. Doch dann kamen die Astrophysiker Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian Schmidt. Sie beobachteten Sternenexplosionen, die weit sichtbar sind und immer gleich viel Licht abstrahlen. Sie vermaßen ihre Entfernungen und konnten es selbst kaum glauben:
„Die beobachteten Supernovae Typ1a waren weniger hell, als man eigentlich erwartet hatte. Damit war klar: Das Universum wird bei seiner Ausdehnung nicht langsamer – ganz im Gegenteil. Es nimmt Fahrt auf und wird mit wachsender Geschwindigkeit immer weiter auseinandergetrieben”, erklärt Dr. Thomas Mernik, eROSITA-Projektleiter beim DLR Raumfahrtmanagement. Mit dieser Erkenntnis stellten die drei Forscher die Wissenschaft auf den Kopf und bekamen dafür im Jahr 2011 den Nobelpreis für Physik verliehen. Doch Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian Schmidt ließen uns mit einer entscheidenden Frage zurück:
Welcher ‚kosmische Kraftstoff‘ treibt das Universum an? Weil man diese Frage bis heute nicht beantworten kann und seine Zutaten nicht kennt, nannte man diesen Beschleuniger einfach Dunkle Energie. eROSITA wird nun versuchen, dem Grund dieser Beschleunigung auf die Spur zu kommen”, erklärt Thomas Mernik.
Galaxienhaufen mit Röntgenaugen beobachten
In Wirklichkeit wissen wir nicht viel über unser Universum. Wir kennen gerade einmal die Zutaten von vier Prozent seiner Energiedichte, denn so winzig ist der Anteil von “normaler” Materie wie Protonen und Neutronen an der “Rezeptur des Weltalls”. Die anderen 96 Prozent sind ein Rätsel. Man vermutet heute, dass 26 Prozent die Dunkle Materie beisteuert. Der größte Anteil mit geschätzten 70 Prozent macht allerdings die Dunkle Energie aus. Um ihr auf die Spur zu kommen, müssen Wissenschaftler etwas unvorstellbar Großes und extrem Heißes beobachten:
Galaxienhaufen setzen sich aus bis zu einigen tausend Galaxien zusammen, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten im gemeinsamen Schwerefeld bewegen. In ihrem Inneren sind diese merkwürdigen Gebilde von einem dünnen, unvorstellbar heißen Gas durchdrungen, das sich durch seine Röntgenstrahlung beobachten lässt. Genau hier kommen die Röntgenaugen von eROSITA ins Spiel. Mit ihnen beobachten wir Galaxienhaufen und schauen, wie sie sich im Universum bewegen und vor allem, wie schnell sie das tun. Diese Bewegung wird uns dann hoffentlich mehr über die Dunkle Energie verraten“, erklärt DLR-Projektleiter Thomas Mernik.
Gigantisches Projekt: Kartografie des gesamten heißen Universums
Doch nicht nur die Bewegungsmuster der Galaxienhaufen interessieren die Wissenschaftler. Sie wollen diese Gebilde zählen und kartieren. Bis zu 100.000 solcher Haufen sollen die Röntgenaugen von eROSITA einfangen – mehr als jemals zuvor beobachtet wurden. Außerdem sollen weitere heiße Phänomene wie aktive Schwarze Löcher, Supernova-Überreste sowie Röntgendoppel- und Neutronensterne beobachtet und lokalisiert werden.
Dafür durchmustert eROSITA alle sechs Monate den gesamten Himmel und erstellt in vier Jahren eine tiefe und detaillierte Karte des Universums im Röntgenbereich. Auf diese Weise wird eROSITA die gigantischste kosmische Inventur des heißen Universums durchführen. Mit dem Ergebnis, dass wir beginnen, die Struktur des Kosmos und dessen Entwicklung besser zu verstehen.
Siebenäugige eROSITA mit Röntgenblick
Das deutsche Teleskop setzt sich aus zwei Kernbestandteilen zusammen: Seiner Optik und seinen Detektoren. Erstere besteht aus sieben parallel ausgerichteten Spiegelmodulen. Jedes Modul hat einen Durchmesser von 36 Zentimetern und besteht aus 54 ineinander geschachtelten Spiegelschalen, deren Oberfläche aus einem Paraboloid und einem Hyperboloid (Wolter-I-Optik) zusammengesetzt ist.
Die Spiegelmodule sammeln hochenergetische Photonen und leiten diese an die CCD-Röntgenkameras weiter, die speziell für eROSITA in unserem Halbleiterlabor in Garching entwickelt wurden. Sie bilden den zweiten Kernbestandteil von eROSITA und sitzen im Brennpunkt jedes Spiegelsystems…”
beschreibt Dr. Peter Predehl, eROSITA-Projektleiter beim Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik das Teleskop. Laut Predehl sind diese hochempfindlichen Kameras die besten ihrer Art. Gemeinsam mit den Spiegelmodulen würden sie ein entsprechendes Röntgenteleskop bilden, dessen Kombination aus Lichtsammelfläche und Gesichtsfeld unerreicht sei.
Die vielfältigen Partner der Raumfahrtmission SRG
Die russische Raumfahrtmission Spektrum-Röntgen-Gamma (SRG) arbeitet mit vielen Partnern zusammen. So sind dies auf russischer Seite die Raumfahrtagentur Roskosmos, der Raumfahrtkonzern Lavochkin sowie das Institut für Weltraumforschung der Russischen Akademie der Wissenschaften (IKI).
Das deutsche Röntgenteleskop eROSITA wurde mit der Unterstützung des DLR Raumfahrtmanagements vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) Potsdam sowie den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Hamburg und Tübingen entwickelt und gebaut. Zudem bereiten die Universitäten München und Bonn die wissenschaftliche Auswertung der eROSITA-Daten mit vor. Die am deutschen Teleskop beteiligten Partnerinstitute erstellten die Software für die Datenanalyse, Missionsplanung und Simulationen sowie Teile der Hardware. Die hauptsächliche Hardwareverantwortung lag aber im Wesentlichen beim MPE.
Normalerweise wird ein derart komplexes Instrument wie eROSITA von einem großen Institut nur mit Hilfe eines industriellen Hauptauftragnehmers umgesetzt. Wir sind aber mit dem MPE gemeinsam einen anderen Weg gegangen und haben das Institut die Entwicklung in Eigenregie durchführen lassen”, betont Thomas Mernik.
Projektleitung, Produktsicherung und Systemauslegung waren zentrale Aufgaben, die vom MPE selbst erledigt wurden. Dafür wurden andere Aufgaben von dort an die Industrie vergeben – zum Beispiel für die Spiegelfertigung, die Struktur, die Thermalisolierung, mechanische Präzisionsteile, Elektronikplatinen und vieles mehr. “Da wir eROSITA nun auf seine Reise in den Weltraum schicken, kann man rückblickend sagen, dass dieser Ansatz doch sehr erfolgreich und sinnvoll war”, freut sich Thomas Mernik.