Jährlich erkranken allein in Deutschland etwa 800.000 – 900.000 Menschen an in Verbindung mit einem Krankenhausaufenthalt entstandenen ‒ sogenannten nosokomialen ‒ Infektionen. Etwa ein Drittel dieser Fälle werden durch einen späteren, retrograden (rückläufigen) Bakterieneintrag bei immun-geschwächten Patienten verursacht. Die Patienten erkranken also erst im Krankenhaus. Eine der vielen Keim-Quellen ist das klinische Wassernetz.
Während das Frischwasser sterilisiert wird, können über die Abflüsse Bakterien nahezu ungehindert in die Klinik gelangen. Wie eine im Januar veröffentlichte Studie zeigte, findet die bakteriologische Besiedlung zunächst in den Abwasserleitungen der wasserführenden Geruchssperre des Siphons statt. Wird nun der Wasserhahn geöffnet, läuft frisches Wasser durch das Abwasserrohr. Dabei strömt die Luftmasse über dem Siphon nach oben aus dem Waschbecken heraus. Gleichzeit reißt sie die hier vorhandenen Bakterien mit nach oben. Diese sind in einem Radius von ca. 1,5 Meter rund um das Waschbecken nachweisbar. Da sich bei laufendem Wasser stets auch eine Person in der Nähe des Waschbeckens aufhält, ist davon auszugehen, dass auf diesem Wege praktisch immer eine Übertragung von Bakterien stattfinden kann.
Aktuelle Methoden sind kostspielig und aufwendig
Doch führt zum Glück nicht gleich jeder Kontakt mit Bakterien sofort zu einer Erkrankung. Ganz im Gegenteil: Denn die meisten Bakterien in und um unseren Körper sind wertvolle Helfer. Dennoch können sich auf die beschriebene Weise auch pathogene Erreger ausbreiten. Und gerade in Krankenhäusern – hier kommen viele Menschen mit Abwehrschwäche auf engem Raum zusammen ‒, kann dies ein besonders großes Problem darstellen: Denn solche Patienten sind besonders anfällig für bakterielle Infektionen.
Das ist schon länger bekannt. Als Prävention wird bis dato durch Ausheizen oder Behandlung mit antibakteriellen Reinigungsmitteln der Siphon intervallartig unter großem Aufwand gesäubert. So kann ein Großteil der Weiterverbreitung von Bakterien verhindert werden. Prinzipiell funktionieren diese Methoden sehr gut. Sie sind jedoch zeitlich und logistisch anspruchsvoll. Zudem belasten sie das Krankenhaus auch finanziell und damit am Ende das Gesundheitssystem.
Forschungsvereinigung
Grund genug für die Forscher am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) ein Siphon zu entwickeln, das ‒ einmal eingebaut ‒ in der Lage ist, eine bakterielle Besiedlung fortlaufend und sicher zu verhindern. Für ihre Arbeit schlossen sie sich mit der Firma MoveoMed GmbH zu einem von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) geförderten Projekt zusammen.
Der neuartige Ansatz besteht in der Entwicklung eines Siphon-Einsatzes, der permanent die bakteriologische Besiedlung unterbindet und somit auch eine retrograde Infektion verhindert“, erläutert Jan-Michael Albrecht, Geschäftsführer von MoveoMed.
Technologisch soll die bereits bekannte fotokatalytische – also durch Licht selbstreinigende ‒ Wirkung von Titandioxid (TiO2) verwendet werden. Dieser Stoff erzeugt bei Kontakt mit UV-Licht sogenannte Radikale, welche innerhalb kürzester Zeit Bakterien oder andere biologische Verunreinigungen zerstören können. Derzeit wird diese Technologie schon in selbstreinigenden Fassaden oder Wandfarben angewendet. Interessant dabei ist, dass schon winzige TiO2-Partikel im Sonnenlicht ihre reinigende Wirkung erzielen können. Hierbei wird jedes Mal, wenn ein TiO2-Partikel von einem Sonnenstrahl ‒ genauer dem UV-Anteil des Strahls ‒ getroffen wird, ein Sauerstoffradikal gebildet. Je stärker die Einstrahlung ist, und je mehr Titan-Partikel vorhanden sind, desto stärker ausgeprägt ist die Radikalbildung und damit der Reinigungseffekt.
Herausforderungen des Siphons
Doch gelangt in ein Abwasserrohr kein einziger Sonnenstrahl und somit auch keine natürliche UV-Strahlung hinein. Auch wird das Vorhaben durch den geringen Platz erschwert: Im Unterschied zu der normalerweise recht großen Fläche einer Hauswand ‒ die gleichzeitig die große Reaktionsfläche darstellt ‒, finden sich in hausüblichen Abwasserrohren weder große Flächen noch sonstiger verfügbarer Platz.
Die Forscher müssen also die fotokatalytische, selbstreinigende Wirkung einer Fassade in der prallen Sonne so komprimieren, dass Reinigung sowie Desinfektion in der Dunkelheit und Enge eines Abwasserrohres möglich sind. Den Platzmangel möchten sie dabei durch die Verwendung poröser Sintermaterialien überwinden. Das sind Metalle, die zunächst zu Fäden gezogen werden, um dann lose zusammengelegt ein Geflecht mit viel Platz zu bilden. In einem finalen Erwärmungsschritt werden sie dann verfestigt. Auf diese Weise entsteht ein Werkstoff mit sehr großer innerer Oberfläche, der anschließend mit Titandioxid beschichtet werden kann. Das mangelnde Tageslicht möchten die Dresdener durch im Siphon verbaute, spezielle UV-LEDs ersetzen.
Übertragung bestehender Techniken
Deshalb liegen die Schwierigkeiten des Projektes nicht in der Erforschung prinzipiell neuer Technologien, sondern vielmehr in der Übertragung bestehender Techniken auf völlig neue Anwendungsfelder. Zunächst ist es mittlerweile gelungen, diverse Expertisen aus unterschiedlichsten Gebieten zu verknüpfen und zu bündeln. So wird das vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM entwickelte Sinterverfahren zur Herstellung von metallischen Materialen mit großen Oberflächen verwendet. Dr. Ulla König, stellvertretende Bereichsleiterin „Medizinische und biotechnologische Applikationen“ freut sich: „Das Fraunhofer FEP steuert sowohl seine Expertise in der Beschichtungstechnologie als auch in der Mikrobiologie und Analytik bei.“ Und mit Moveomed hat das Konsortium einen erfahrenen Player im Bereich innovativer Abwassertechnik mit an Bord. Das aktuelle Model MoveoSiphon ST24 dient als Maßstab der anvisierten mikrobiologischen Wirksamkeit.
Das Projekt Siphon ist im Januar 2019 gestartet. Es wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Programms „Zentrales Investitionsprogramm Mittelstand (ZIM)“ über den Projektträger Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigung (AiF) gefördert. Am Ende der zweijährigen Laufzeit soll ein Prototyp präsentiert werden. Das FEP stellt seine aktuellen Forschungsschwerpunkte im Bereich Hygiene und Reinigung, darunter auch das Projekt Siphon, übrigens vom 21.-23. Mai 2019 auf der Messe MedTecLIVE in Nürnberg (Halle 10, Stand 10.0 – 621) vor.