Vielleicht haben Märchen auf Niederländer im späteren Leben auf unterschwellig viele negative Auswirkungen. Wir sind mit Rotkäppchen und dem bösen Wolf aufgewachsen und reagieren ziemlich hitzig auf ein paar Wölfe, die kürzlich in den Niederlanden gesichtet wurden. Wie anders das in Skandinavien ist, ist mir im Urlaub aufgefallen.
Im Moment kommen Leute aus dem Urlaub zurück. Gut ausgeruht von einem Urlaub, in dem man nur faul war oder mit einem klaren Kopf von einem Urlaub voller Aktivitäten. Oder beides. Persönlich genieße ich während eines Urlaubs im Ausland besonders die Erfahrung, dass Menschen in anderen Ländern einige Dinge ganz anders machen als wir in den Niederlanden. Es ist wunderbar, sich überraschen zu lassen und zu staunen. Es relativiert „unsere” Sicht der Dinge. In diesem Urlaub fiel mir besonders die völlig andere Einstellung der Menschen zur Natur auf. Das Gleiche gilt für den Umgang mit Wölfen.
Natur
Ich war im Urlaub in Schweden und Norwegen und habe die beeindruckende und allgegenwärtige Natur dort genossen. In beiden Ländern gibt es relativ große Flächen unberührter Natur. Die vielen Wälder und Seen in Schweden und die schönen Fjorde in Norwegen. Je näher man dem Polarkreis kommt, desto rauer wird die Landschaft. Die ausgedehnte Tundra im Norden beider Länder gehört zu Lappland und ist der Lebensraum der Saami. Sie sind die Ureinwohner Nordskandinaviens und sind traditionell Rentierzüchter.
In den Weiten unberührter Natur fühlt man sich manchmal so, als wäre man allein auf der Welt. Du kannst einen langen Spaziergang machen und triffst niemanden. Ein echtes Niemandsland. Ich war mir oft der Stille um mich herum bewusst. Kein Ton. Nun, nichts als der Wind, die Vögel oder das Meer. Keine Autos, keine Leute. Wunderbar, diese natürliche Stille.
Die Mitternachtssonne ist auch ein bemerkenswertes Erlebnis. Am Polarkreis blieb es die ganze Nacht hell. Großartig, übrigens, wenn du nur draußen sitzen und vor dem Wohnmobil ein Buch lesen willst. Keine Probleme mit Taschenlampen. Du hast auch kein automatisches Gefühl von Nacht oder Tag. Es passierte immer wieder, dass es plötzlich schon mitten in der Nacht war.
Viel Natur und so viele Tiere. Auch viele Tiere, die wir in den Niederlanden nie oder selten sehen. Elche, Rentiere, Bären, Luchse, Seeadler und Papageientaucher. In einigen Regionen gibt es Polarfüchse, Vielfraße und Wölfe. Mehr dazu in Kürze.
Anders als bei uns
Drei Dinge sind bemerkenswert, die sie anders machen als wir: allgemeines Zugangsrecht, Friluftsliv und wie sie mit Tieren umgehen, insbesondere mit Wölfen.
Allgemeines Zugangsrecht
In Schweden wird die Natur von der Regierung durch Naturschutzgebiete und Nationalparks geschützt. Zusätzlich zu diesem Schutz hat Schweden auch so genannte allgemeine Zugangsrechte. Dieses Recht auf allgemeinen Zugang ist auch im Gesetz verankert. Es gibt jedem das Recht, die Natur zu genießen. So kann man in jeden beliebigen See springen, sein Zelt aufschlagen, wo immer man will, wandern, segeln oder reiten, wo immer man will. Man darf in der Wildnis Blumen pflücken, Beeren oder Pilze. Aber natürlich gibt es auch einige Bedingungen. Die wichtigste davon ist: Respekt vor der Natur zeigen. Es ist daher verboten, die Flora oder Fauna zu beeinträchtigen, zu beschädigen oder zu stören. Man verlässt den Ort, an dem man war, so wie man ihn vorgefunden hat.
Die Grundidee dieses allgemeinen Zugangsrechts ist, dass die Natur jedem gehört und somit jeder das Recht hat, sie zu genießen. Niemand kann sich die Natur zu eigen machen. In der Ferienbroschüre über Schweden ist das Recht auf „Wandern” erwähnt.
In den Niederlanden ist das Privateigentum fest im Gesetz und in unserem täglichen Leben verankert, so dass sich ein solches allgemeines Zugangsrecht seltsam anfühlt.
Friluftsliv
Ich hatte noch nie von Friluftsliv gehört. Das ist der schwedische Begriff für das Zusammenleben mit der Natur. Es ist nicht nur eine Lebensweise, sondern auch eine Bildungsstrategie. Friluftsliv ist ein umfassendes Konzept in Schweden. Zwei markante Elemente dieser Lebensweise sind: Erstens ist die Anzahl der Stunden, die Kinder draußen spielen, viel höher als in den Niederlanden. In Stockholm spielen die Kinder im Sommer durchschnittlich 6 Stunden und im Winter 1,5 Stunden im Freien. Außerhalb der Stadt ist der Durchschnitt noch höher. Niederländische Kinder sind viel mehr im Haus. Zweitens müssen Kinder nach dieser natürlichen Lebensweise lernen, Gefahren einzuschätzen, und die Natur ist der beste Ort dafür. Dazu gehören kaputte Knie und aufgeschürfte Ellenbogen. In Schweden heißt das „Sommeretappen”.
Umgang mit Tieren
Man kann sie überall auf den Straßen sehen. Die Zeichen, die vor Elchen, Rentieren, Hirschen und Schafen warnen, die auf der Straße laufen könnten. Und es ist wahr. Wir mussten regelmäßig bremsen. Wenn in den Niederlanden eine Kuh auf der Straße ist, ist das eine Nachricht wert. Die Norweger und Schweden sind es gewöhnt, dass Tiere „streunen” und sie scheinen sich darüber keine Gedanken zu machen. Tiere gehören in die Natur und als Mensch muss man das eben berücksichtigen. Es gibt also keinen nationalen Aktionsplan, um diese Tiere hinter Zäunen zu halten.
Hitzige Reaktionen wegen ein paar Wölfen
Während meiner Ferien wurde ich regelmäßig an die Reaktionen in den Niederlanden erinnert, als ein paar Wölfe gesichte wurden. Besser gesagt die Rückkehr des Wolfes. Es ist unklar, wann in den Niederlanden der letzte Wolf zu sehen war, aber das muss vor etwa 150 Jahren gewesen sein. Im März 2015 war der erste Wolf zurück. Er besuchte Drenthe und Groningen. Aber in diesen 150 Jahren haben wir leider auch viel vergessen. Freilaufende Wölfe? Das sollte nicht sein! Dabei stellt der Wolf nach Expertenmeinung keine Gefahr für den Menschen dar. Obwohl wir in den Niederlanden nur eine Handvoll Wölfe hatten, erfüllt das niederländische Poldermodell seine Aufgabe. Die Regierung, die Provinzen und die Gemeinden sowie alle Arten von Interessengruppen sind mit Aktionsplänen beschäftigt. In der Zwischenzeit machen die Wölfe Schlagzeilen. Jedes Mal, wenn ein Wolf gesichtet wird, ist er in den 20:00-Uhr-Nachrichten zu sehen. Vor kurzem explodierten die sozialen Medien förmlich, weil ein paar junge Wölfe geboren wurden. Und die neueste Nachricht ist, dass das niederländische Forstamt die #wolvenzoekers (die keine Angst vor dem Wolf haben) bestraft hat.
Meine schwedischen Nachbarn auf dem Campingplatz konnten nicht glauben, dass wir uns in den Niederlanden wegen ein paar Wölfen so aufregen. Sie mussten sogar darüber lachen. Sie fragten sich, warum?
Weil wir in den Niederlanden nicht mit der Natur aufwachsen? Weil wir Friluftsliv nicht kennenlernen? Oder liegt es daran, dass wir Märchen mit Wölfen sehr wörtlich nehmen? Und jetzt mal ganz klar: tauschen wir doch einen wütenden Wolf gegen einen wütenden weißen Mann aus. Das ist in der heutigen Zeit viel angebrachter.
Über diese Kolumne:
In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Maarten Steinbuch, Mary Fiers, Peter de Kock, Eveline van Zeeland, Lucien Engelen, Tessie Hartjes, Jan Wouters, Katleen Gabriels und Auke Hoekstra geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, gelegentlich ergänzt durch Gast-Blogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Damit es morgen besser wird. Hier sind alle vorherigen Episoden.