Sind Sie ein böser Mensch? Dann fahren Sie vermutlich noch einen Verbrenner, fliegen wenigstens einmal im Jahr in Urlaub und essen Fleisch. Im Umkehrschluss sind nur Veganer, Urlaubsradler und Elektroauto-Piloten gute Menschen.
Der Autor dieser Zeilen gehört nach obiger Definition zu den schlechten Menschen. Zudem betrachtet er gerne mehrere Seiten der Medaille. So findet er, obwohl er ein Portal für Elektromobilität betreibt, dass die Elektromobilität keinesfalls schon auf der berühmten „Zwölf“, der bloße Austausch von Verbrennern durch Stromer keine Lösung und das Blicken über den Tellerrand eine der wichtigsten Eigenschaften von Journalisten aber auch Wissenschaftlern ist.
Wagen es Wissenschaftler, die Elektromobilität als einzige Lösung der Verkehrs- und Klimaprobleme zu hinterfragen, wird es schon mal turbulenter.
Denn das kommt naturgemäß in der Ökoblase, den „EV-only extremists“ (Gill A. Pratt, Toyota) äußerst schlecht an, denn wie gesagt: entweder ist man ein schlechter Mensch oder gehört zu den Guten. Da gibt es keine Grautöne.
Die Märchenstunde
Bei den „Guten“ ist oft (nicht immer) eine Haltung vorherrschend, die man am besten mit „Kompromisslosigkeit“ übersetzen könnte. Das Leben, so gewinnt man den Eindruck, braucht keine Kompromisse. Wer den Pfad der reinen Tugend verlässt, der wird, auch wenn er Mitglied der „Guten“ ist, gnadenlos gemaßregelt und – vor allem in den sozialen Medien – sogar bisweilen geächtet und geblockt.
Argumenten sind die „Guten“ oft nur schwer zugänglich, und die Realität verbiegt man sich gerne wie weiland Steve Jobs, des Reality Distortion Field legendär war. Beispiele gefällig?
Energiepolitik
Der Umstieg auf Elektroautos sei kein Problem. Strom, zumal er aus der Steckdose komme, sei genügend vorhanden. Nun stimmt das, zumindest für Deutschland, nicht mehr uneingeschränkt. Die Stromknappheit könnte sich tatsächlich zukünftig zeigen, wenn viel mehr Stromer gleichzeitig abends geladen werden. Dann, so erklärte die „Bundesnetzagentur“ gerade, sollten Energieversorger Wallboxen und sogar Wärmepumpen fernabschalten können.
Emissionen
Das Elektroauto sei in jedem Fall sauberer als der Verbrenner. Das mag für die skandinavischen Länder und Frankreich gelten, wo die Stromerzeugung selten über 80 g CO2 pro erzeugter Kilowattstunde steigt. In Deutschland, wo der Kohlestrom gerade seine Renaissance erlebt, wird diese Behauptung zu beweisen zunehmend schwieriger. Vor allem dann, wenn man weiß, dass zu Spitzenzeiten mehr als 13.000 Tonnen Kohle pro Stunde für die Stromerzeugung verbrannt werden. Das wir uns richtig verstehen: das ist nicht die Schuld des Elektrofahrzeugs, wohl aber der bitteren Realität.
BEVs laufen nur mit regenerativen Energien
Aber, so werden Sie nun sagen, Stromer werden doch überwiegend mit regenerativen Energien betrieben. Zumindest in Deutschland rühmen sich die Ladeanbieter dafür. Unglücklicherweise ist das wie mit dem Prosecco-Gate vor einigen Jahren. Da wurde auch mehr des Kicherwassers einer bestimmten Region angeboten, als produziert werden konnte. Zwar könnten die Stromer mit Ökostrom geladen werden, der fehlt aber dann woanders – der Durchschnitt zählt.
Reichweitenangst & Co
Und dann ist da die berühmte Reichweitenangst, die es laut Fanblase gar nicht mehr gebe. Sie sei vor allem deshalb kein Problem, weil der durchschnittliche Pendler in Deutschland nur knapp über 30 Kilometer am Tag fahre. Das Auto müsste also nur einmal pro Woche geladen werden. Wie das beim Durchschnitt so ist, gibt’s eben auch die andere Seite. Berufskraftfahrer, die hunderte von Kilometern pro Tag zurücklegen. Da gilt der alte Satz: Zeit ist Geld. Und auch mehrfaches tägliches Laden am HPC schlägt dann mit langen Zwangspausen zu Buche – vor allem im Winter.
Rohstoffe
Es gebe genügend Rohstoffe für die Elektromobilität. Auch hier möchte ich den kleinen und nur unwesentlichen Einwurf machen, dass dies zwar so ist, aber der Nachschub an Lithium, Kobalt, Kupfer und Nickel trotzdem böse Bergbaufirmen dazu bringt, die Ökologie hier und da mit Füßen zu treten. Zudem ist ein dramatischer Anstieg des Bergbaus vonnöten, um zukünftig Abermillionen von Elektrofahrzeugen weltweit herzustellen. Und ja: auch die Ölförderung ist schmutzig, und führt zu ökologischen Katastrophen biblischen Ausmaßes. Aber „Whataboutism“ ist eben kaum zielführend aber gerne als „Argument“ genommen.
Das alles, und noch viel mehr, hören die Elektromobiltäts-Fans nicht gerne und reagieren mit teilweise deftigen Kommentaren in den sozialen Medien oder Foren. RDF eben.
Da ist es auch kein Wunder, dass viele Elektroautos in Deutschland tatsächlich Zweitwagen sind. Den Verbrenner hält man sich dann in Reserve. Man kann nie wissen.
Conclusio
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Wir alle sind per obiger Definition eigentlich schlechte Menschen. Aber statt mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sollten wir anfangen, pragmatisch vorzugehen.
Pragmatik jedoch verlangt nach Kompromissen.