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Unsere Haut und unser Körper können durch die angeborenen Selbstheilungskräfte viele Schäden selbst wieder beseitigen. Ein aufgeschlagenes Knie, ein Schnitt im Finger oder ein verstauchter Knöchel sind kein Grund, Hilfe beim Arzt zu suchen. Nach ein paar Tagen sind die Wunden ohne äußeres Zutun verheilt. Diese Fähigkeit zur Selbstheilung besitzen allerdings nur biologische Wesen. Ein zerrissenes Kleidungsstück repariert sich leider nicht von selbst. Wissenschaftler haben nun aber ein Material entwickelt, das sich selbst heilt. Und das innerhalb von ein paar Sekunden.

Forscher am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Stuttgart und der Pennsylvania State University (PSU) in den USA haben das geschafft, indem sie die Nanostruktur eines neuen dehnbaren Materials so lange verändern, „bis es seine Struktur und Eigenschaften wieder vollständig zurückerhalten kann, nachdem es zerschnitten oder durchstochen wurde“. Inspiriert wurde dieses Material, das die Forschung auf dem Gebiet der Softrobotik revolutionieren könnte, von Tintenfischen. Dieses Material würde viele Anwendungen in einer Welt ermöglichen, „in der Roboter mit dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen zurechtkommen müssen“, sagen die Wissenschaftler.

Heilung ohne Qualitätsverlust

Bei bisherigen verformbaren, selbstheilenden Materialien brauchen die Moleküle Stunden oder sogar Tage, bis sie sich wieder miteinander verbinden. Außerdem erreicht die beschädigte Stelle nicht mehr die ursprüngliche Festigkeit. Ganz anders das neu entwickelte dehnbare Material. Das ist in der Lage, seine Struktur und Eigenschaften im Nu komplett wiederherzustellen. Und das immer wieder und wieder.

„Wir haben ein neues Material entwickelt, das viel schneller heilen kann, ohne seine Festigkeit zu verlieren. Wir haben es auf verschiedenste Weise beschädigt und jedes Mal hat es sich innerhalb von Sekunden repariert“, sagt Dr. Abdon Pena-Francesch, Erstautor der Publikation „Biosynthetic self-healing materials for soft machines“, die in der Fachpublikation Nature Materials veröffentlicht wurde.


Zukunftsweisend auf dem Gebiet der Robotik

In der Wissenschaft spielen selbstheilende Materialien insbesondere im Hinblick auf die Robotik. Dort könnte ein derartiges Material entscheidend für den täglichen Einsatz von Robotern sein. „Wenn Roboter eines Tages Menschen in sehr dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen unterstützen, sollten sie aus einem weichen und biegbaren Material sein“, betonen die Forscher. Je weicher die Roboter sind, desto schneller geht das Material aber auch kaputt. Das hat sowohl einen Einfluss auf die Langlebigkeit als auch auf die Möglichkeiten des Einsatzes. Könnte sich das Material jedoch im Handumdrehen selbst heilen, wäre ein Schaden kein Problem mehr. Solche Roboter könnten in Zukunft beispielsweise in gefährlichen Situationen wie der Bergung von Verschütteten nach Erdbeben eingesetzt werden. Außerdem könnte das Material auch bei Schutzkleidung wie Handschuhen verwendet werden.

Einen Paten für das neuartige Material fanden Dr. Pena-Francesch und seine Co-Autoren Dr. Huihun Jung und Prof. Melik C. Demirel von der PSU und Prof. Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS in den Naturheilkräften des Tintenfischs. „Unser Ziel war es, mit Hilfe der Synthetischen Biologie ein selbstheilendes, programmierbares Material zu kreieren, dessen physikalische Eigenschaften wir kontrollieren können”, sagt Prof. Demirel. Nachdem das Team die Molekülstruktur und die Aminosäuresequenzen von Tintenfischproteinen genau untersucht hatte, entwickelte es mit Hilfe des Protein-Engineering das flexible, gummiartige Material. „Wir veränderten die molekulare Struktur so, dass wir die Selbstheilungskräfte des Materials auf die Spitze treiben konnten“, sagt Demirel weiter. „Wir konnten eine 24-Stunden dauernde Heilungsphase auf eine Sekunde verkürzen. Soft-Roboter, die aus diesem Material gebaut wären, könnten sich nun sofort selbst reparieren. In der Natur dauert die Selbstheilung sehr lange. Unsere Technologie stellt damit die Natur in den Schatten.“

Schneller als die Natur

In der Natur braucht ein Tintenfisch weitaus länger, um zu heilen, denn die Protein-Moleküle in seinen Tentakeln sind nur lückenhaft miteinander verbunden. Das im Labor entwickelte Material wurde von den Forschern so verändert, dass die Moleküle alle miteinander verbunden sind. „Ein Netzwerk, in dem nur wenige Punkte miteinander verbunden sind, birgt Schwachstellen. Wir aber haben alle Punkte miteinander vernetzt und das Material so verbessert“, erklärt Pena-Francesch. Während die Moleküle bisheriger flexibler Materialien jedoch permanente Verbindungen hätten, die einmal getrennt nicht wieder zusammengefügt werden könnten, verhielte es sich bei dem neuen Material anders. „Jede physikalische Verbindung ist reversibel. Verbindungen, die an einer Stelle getrennt wurden, klicken wieder in die richtige Position zurück.“

Ein supramolekulares Netzwerk mit beispiellosen Selbstheilungseigenschaften eröffne ein großes unerforschtes Gebiet möglicher Anwendungen in der Robotik, betonen die Autoren. „Selbstreparierende physikalisch intelligente weiche Materialien sind für den Bau robuster und fehlertoleranter Soft-Roboter in naher Zukunft unerlässlich”, sagt Prof. Metin Sitti. Seine Vision ist es, „solch selbstreparierende weiche Materialien einzusetzen bei der Erforschung medizinischer Soft-Roboter oder um Robotergreifarme noch besser zu machen“. Tests mi derartigen Greifarmen haben bereits stattgefunden. Es wurden zum Beispiel verschiedene Objekte damit angehoben. „Wenn ein Objekt dann beim Herumtragen den Greifarm beschädigt, könnte er sich leicht selbst heilen.“