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Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Eveline van Zeeland, Eugene Franken, Katleen Gabriels, PG Kroeger, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla, Willemijn Brouwer und Colinda de Beer geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, die manchmal durch Gastblogger ergänzt werden, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Bitte lesen Sie hier die bisherige Episoden.

Wer in diesen Tagen in den sozialen Medien unterwegs ist, der wundert sich vermutlich nur noch über die Befindlichkeiten der Deutschen, die schon fast in Richtung Peinlichkeit gehen. 

Die Energiepreise explodieren, die Insolvenzen steigen an, Unternehmen stoppen die Produktion, weil die Energiepreise weiter steigen und es keinen Sinn ergibt unter den Gestehungskosten zu produzieren. Selbst Traditionsunternehmen wie der Toilettenpapierhersteller Hakle sind in Schräglage.

Deutsche Politiker

Deutsche Politiker reden sich im TV um Kopf und Kragen und dokumentieren, dass sie eigentlich völlig ahnungslos sind und die „Bullerbü-Fraktion“ aus Journalisten und ideologisch aufgeladenen Volkswirten verteidigt besagte Politiker sogar noch, auch wenn sie völligen Unsinn reden. 

Günstige AKW werden abgeschaltet, Kohlekraftwerke aktiviert, die Resultate des „Energie-Stresstests“ schlicht ignoriert oder ideologisch interpretiert. CO2-Emissionen? Kommen in der deutschen Medienlandschaft nur noch am Rande vor.

Stromproblem? Welches Stromproblem?

Die Energieprofis um Deutschland herum schütteln mit dem Kopf und mahnen mehr Solidarität an. Norwegen und Schweden überlegen schon, ob sie im Winter mit Stromlieferungen aushelfen sollten, wo doch die Deutschen den europäischen Energieverbund offenbar mit Füßen treten, indem sie beispielsweise die letzten AKWs abschalten oder in den teuren Stand-By schicken wollen. Der ist an, man verzeihe mir die drastischen Worte, Hirnlosigkeit nicht mehr zu toppen. Man hält AKW in „Reserve“, zahlt die Unterhalts-Kosten, lässt sie aber keinen Strom im Streckbetrieb erzeugen, damit sie Geld verdienen und das Netz stabilisieren helfen. Deutsche „Energiesolidarität“ eben.

(https://twitter.com/antonmsteen/status/1567523327752736768)

Schuld sind immer die anderen

Und die Franzosen kämpfen mit Ihren Atomkraftwerken. Hier zeigt sich der deutsche Energieweg am bizarrsten. Auf der einen Seite versprüht man Häme über die abgeschalteten Atommeiler wegen Revision oder Trockenheit, auf der anderen Seite bangt man ob Frankreich im Winter den Deutschen überhaupt mit Atomstrom aushelfen könne, wenn es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eng wird.

Und bei all diesen Hiobsbotschaften und seltsamen urdeutschen Begebenheiten verkündet das Kraftfahrt-Bundesamt neue Rekorde beim Pkw-Absatz und der Elektromobilität.

Gut, dass Elektroautos nicht mit Gas fahren!

So legten die EV-Zulassungen im Monat August um sagenhafte 10,9 Prozent auf 32.006 Einheiten im Vergleich zum Vorjahresmonat zu. Das ist in der Tat erstaunlich, wo doch das Geld wegen der Energiekrise und Inflation nicht mehr so locker sitzt, und der Deutsche die Brötchen lieber beim Discounter als beim Bäcker, der deshalb in die Insolvenz rauscht, holt.

Der Marktanteil der Stromer lag damit im August bei 16,1 Prozent der Verkäufe, Tendenz weiter steigend? Das wäre in der Tat Glaskugellesen.

Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Abschwung, sozialen Unsicherheiten und Zulassungsrekorden? Denn auch die Gesamtzahl der zugelassenen Pkw stieg im Vergleich zum Vorjahr um +3 Prozent. Benzinfressende SUVs bleiben weiter der absolute Renner mit einem Zuwachs von 24,8 Prozent (!) und das, obwohl der Liter Diesel inzwischen mehr kostet als das teuerste Designer-Superbenzin.

Offenbar scheint der Nachholbedarf der Deutschen beim Pkw so groß zu sein, dass man kurz vor der „Katastrophe“ nochmal so richtig investieren will.

Das ist natürlich alles Käse.

Durch die Rohstoff-, Nachschub- und Chipkrise sind viele Fahrzeuge (noch) nicht ausgeliefert worden. Die wurden zum Großteil in einer Zeit bestellt, als die Welt auch in Europa noch in Ordnung war. Ein Zurücktreten von Kaufverträgen ist für die OEMs kaum ein Problem, denn die Wartelisten sind groß und Prozente gibt’s ohnehin nicht mehr. Aus einem Käufermarkt ist ein Verkäufermarkt geworden.

Auch der Zuwachs bei Elektrofahrzeugen hat direkt etwas mit dem Nachschub zu tun, der sich homöopathisch verbessert hat. Und nicht zuletzt die Subventionspläne für die die Jahre 2023 und 2024 sorgen dafür, dass der EV-Boom dieses Jahr weiter geht – allerdings nur für diejenigen, die das nötige Kleingeld mitbringen.

Der Winter wird zeigen, wie clever das ist. Denn sollten tatsächlich Blackouts auf die deutsche Gesellschaft zukommen, könnte sich auch die Elektromobilität als wenig resilient herausstellen. 

Dann nämlich, wenn der Strom aus der Steckdose einfach ausbleibt.