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Warum wir über dieses Thema schreiben:

Heutzutage sind Bücher und Lehrveranstaltungen nicht mehr die einzigen Möglichkeiten, etwas zu lernen. YouTube ist eine bevorzugten Plattform geworden, wenn es darum geht, Anleitungen zu finden oder etwas über ein Thema zu lernen. Könnten Videospiele das nächste Lernmittel sein?

Videospiele dienen schon lange nicht mehr ausschließlich der Unterhaltung. Im Laufe der Jahre haben sich Spiele zu einer Möglichkeit entwickelt, Menschen in einer simulierten Umgebung für reale Situationen zu schulen. So kann man beispielsweise Feuerwehrleute vor wichtige Herausforderungen stellen, ohne sie tatsächlich in Gefahr zu bringen. Videospiele sind auch nützlich, um Menschen bestimmte Kenntnisse zu vermitteln. Serious Games werden auch im Gesundheitswesen eingesetzt, um medizinische Eingriffe zu trainieren. Solche Spiele werden unter anderem von dem spanischen Unternehmen Virmedex entwickelt. 

Das Unternehmen ist eine Ausgründung der Technischen Universität von Katalonien (UPC), wo schon seit vielen Jahren im Labor für Biomedizintechnik geforscht wird. Dann beschloss die Professorin Daniela Tost Pardell, das Unternehmen zusammen mit zwei ihrer Mitarbeiter aus dem Labor, Núria Bonet und Ariel von Barnekov, zu gründen. Der Schwerpunkt liegt – vorerst – auf dem medizinischen Sektor. Das neu gegründete Unternehmen will aber auch gamifizierte Software für andere Trainingsanwendungen entwickeln.

Tost Pardell ist der Meinung, dass Gamification-Erlebnisse herkömmliche Lernhilfen erheblich ergänzen. “Das Sicherheitsgefühl wird gestärkt, weil die Benutzer so die Erfahrung machen, als ob sie wirklich in einem Operationssaal wären. Darüber hinaus steigert es auch die Motivation der Lernenden, weil die Lust am Ausprobieren in einem solchen Videospiel größer ist”, betont der Geschäftsführer von Virmedex.

Dani Tost Pardell
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Daniela Tost Pardell

CEO Virmedex

Sie unterrichtet Informatik und gehört zum Forschungszentrum für Biomedizintechnik von UPC.

Wie im echten Leben

Das erste Produkt von Virmedex ist virCPB. Es ist eine Plattform für das Training am kardiopulmonalen Bypass. Diese Herz-Lungen-Maschine wird bei allen Operationen eingesetzt, bei denen das Herz angehalten werden muss. Das Gerät übernimmt die Funktionen von Herz und Lunge. Das Anhalten des Herzens ist ein Routineverfahren bei verschiedenen Operationen.

Die Herz-Lungen-Maschine wird von so genannten klinischen Perfusionisten bedient. Daher wurde virCPB entwickelt, um diese Fachleute zu schulen, aber es kann auch für Chirurgen nützlich sein, einige Spiele zu spielen, “um in die Haut des Perfusionisten zu schlüpfen”, erklärt Tost Pardell.

Ziel des Spiels ist es, den Benutzern den Umgang mit dem Gerät beizubringen. Darüber hinaus wird der Spieler in die Dynamik der Teamarbeit eingeführt. “Kommunikation ist in einem Operationssaal unerlässlich. Es mag wie ein unbedeutendes Detail erscheinen, aber wenn jemand vergisst zu sagen, dass die Maschine eingeschaltet ist, kann dies zu Fehlern oder Verzögerungen führen. Deshalb ist es auch wichtig, diese Feinheiten zu berücksichtigen”, betont der Virmedex-Mitbegründer. In der aktualisierten Version der Spielesoftware wird es einen Mehrspielermodus geben. Im Moment kommunizieren die virtuellen Perfusionisten mit anderen Fachleuten im Operationssaal, die von der Software gesteuert werden.

Dashboard von virCBP. – © Virmedex

Nicht ander als ein Videospiel

Die Nutzer haben über die Online-Plattform von Virmedex Zugang zu den Spielen. Es muss keine umfangreiche Software heruntergeladen werden. Die Spieler erhalten Punkte durch das Erfüllen von Aufgaben. Außerdem erhalten sie sofort eine Rückmeldung, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Das Training endet mit einem Abschlussbericht, der auflistet, was sie gut gemacht haben und was sie noch üben müssen.

Den Forschern zufolge trägt das Spielen mit einer Virtual-Reality-Brille nicht viel zum Lernprozess bei. Anstatt sich auf die Verwendung von Geräten zu konzentrieren, sollen Fachleute darin geschult werden, Aufgaben präzise auszuführen.

“Ein Spiel kann bis zu 15 Minuten dauern. In dieser Zeit werden alle Verfahren der Operation durchgeführt. Das bedeutet, dass die Dinge sehr schnell passieren und die Spieler konzentriert bleiben müssen. Auf diese Weise lernen die Teilnehmer, ihre Aufgaben immer besser zu erfüllen. Das Schlimmste, was bei einem Fehler passieren kann, ist das Ende des Spiels”, betont Tost Pardell.

Raum für Fehler

Lernen bedeutet, Fehler zu machen. Die Freiheit zu scheitern, während man in einer realistischen Umgebung experimentiert, ist eine der größten Stärken von gamifizierter Software. Medizinische Fachkräfte müssen oft neue Verfahren erlernen oder Prozesse durchlaufen, die sie schon lange nicht mehr gemacht haben. Die Möglichkeit, diese Fähigkeiten jederzeit zu trainieren, kann sie selbstbewusster machen und sie auf Notfälle vorbereiten. Während Fehler in der Realität Leben kosten können, führen sie auf der Virmedex-Plattform zu nichts weiter als einer schlechten Bewertung.

Tost Pardell erklärt, dass man die Aufregung beim Spielen des Spiels mit einem Videospiel wie Die Sims vergleichen kann. “Man kann alles Mögliche ausprobieren, ohne dass es Konsequenzen hat. Wie lustig ist es, das falsche Haus zu kaufen oder zu sehen, wozu falsche Entscheidungen führen? In einem Videospiel verliert man zwar Punkte, aber man kann einfach irgendwo neu anfangen, wenn etwas schief gelaufen ist. Das Gleiche gilt für das Lernen durch unsere Spiele. Sie ermutigen dazu, neue Dinge auszuprobieren und neugierig zu sein.”

Daniela Tost Pardell, Ariel von Barnekov
Daniela Tost Pardell, Ariel von Barnekov. – © Virmedex

“Sie wollten nicht aufhören”

virCBP wird in Kürze auf den Markt kommen. Das Unternehmen ist auf der Suche nach Investoren und plant die Entwicklung einer virtuellen Plattform für ein neues medizinisches Training sowie eine maßgeschneiderte Gamification-Software. Dies könnte Unternehmen und Institutionen helfen, die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu erleichtern.

Das Virmedex-Team probierte das Spiel mit einer Reihe von Medizinern aus, die noch nie zuvor ein Videospiel gespielt hatten. Dies führte zu überraschenden Reaktionen. “Anfangs waren sie etwas zurückhaltend. Sobald sie einmal im Spiel waren, waren sie begeistert und wollten nicht mehr aufhören”, erinnert sich Tost Pardell. Medizinstudenten, die keine Kenntnisse über die Bedienung einer Herz-Lungen-Maschine hatten, testeten ebenfalls virCBP. Es stellte sich heraus, dass sie einiges an Wissen erworben hatten, als ihnen nach dem Experiment im regulären Unterricht Fragen zu diesem Thema gestellt wurden.

Medizin aus der Ferne

Laut dem CEO von Virmedex werden Videospiele im Gesundheitswesen definitiv eine Rolle spielen. “Viele neue Technologien halten Einzug in die Krankenhäuser und das Personal muss dafür geschult werden. Außerdem drängt der Mangel an medizinischem Personal auf andere Modelle, wie z. B. die Fernmedizin. Hier kann eine spielerische Software den Patienten helfen, den Umgang mit medizinischen Geräten zu Hause zu lernen.”

Titelbild: Bildschirmfoto eines Spiels.