Durch das VOR-Team Turn the Tide on Plastic wurden umfangreiche Messdaten gesammelt. Foto: © Almut Otto
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Im Jahre 2018 gab es laut Dr.-Ing. Sören Gutekunst, Wissenschaftler am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, kaum eine Woche, in der er nicht in den Nachrichten etwas über das Thema Mikroplastik in den Ozeanen hörte. Und das ist auch gut so. Gleichzeitig hofft der Chemiker, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nicht allein auf das recht einfach nachvollziehbare Thema Mikroplastik beschränkt bleibt, sondern Problematiken wie die Erderwärmung, mit den daraus resultierenden extremen Wetterbedingungen, und die „Ocean Acidification“ (Ozean Versauerung) nicht in Vergessenheit geraten. Auch würde sich der Wissenschaftler wünschen, dass die weiteren Folgen, die womöglich vom Mikroplastik ausgehen könnten – man denke nur an die Weichmacher – ebenfalls wieder in den Fokus zukünftiger Aufmerksamkeit treten.

Gutekunst gehört zu einem Team an Wissenschaftlern, das durch seine Aktivitäten das Bewusstsein für die Meeresverschmutzung in diesem Jahr noch verschärft hat ‒ nicht zuletzt durch die stete Medienpräsenz während des legendären Volvo Ocean Race (VOR) 2017/2018. Neben der härtesten Regatta der Welt, bei der sieben Hochleistungsyachten über acht Monate hinweg etwa 45.000 Seemeilen rund um den Globus segelten – Sieger wurde das Team Dongfeng – stand das Rennen auch im Zeichen der Wissenschaft. Und zwar, um ozeanografische Daten über die gelöste Kohlenstoffdioxid-Konzentration, die Meeresoberflächentemperatur und den Meeressalzgehalt, Chlorophyll a und die Ozeanversauerung zu erhalten. Des Weiteren wurden filtrierte Wasserproben für Mikroplastikmessungen erhoben, meteorologische Daten gemessen und insgesamt 30 Treib-Bojen für Forschungszwecke ausgesetzt, die über zwei Jahre hinweg die Meerestemperaturen und -strömungen messen sollen.

So entnahm Teammitglied Liz Wardley von der zu Beginn der Regatta mit Sensoren ausgestatteten Yacht „Turn the Tide on Plastic“ im Laufe des gesamten Rennens 75 Wasserproben an unterschiedlichsten Orten. Hinzu kamen noch 11 Proben vom Team AkzoNobel, die später alle am Geomar Helmholtz-Zentrum analysiert wurden. Das erschreckende Ergebnis: Sogar am entlegensten Punkt der Erde, dem sogenannten Point Nemo (45°52.6S, 123°23.6W) war Mikroplastik im Meer zu finden. Die größten Mengen davon wurden mit 349 Partikeln pro Kubikmeter im Südchinesischen Meer gemessen, den zweiten Platz des Negativrekords belegt die Straße von
Gibraltar mit 307 Partikeln per Kubikmeter.

Erschreckend: Die Ergebnisse aller gesammelten Wasserproben mit Mikroplastik auf einen Blick. Darstellung: Dr. Sören Gutekunst

Die Daten des Races geben auch Informationen zur Klimaveränderung Erste Zahlen gaben die Wissenschaftler schon kurz nach dem Rennen bekannt. Doch mittlerweile wurden die Daten weiter verifiziert und um die letzten Etappen, inkl. 24/7 Messungen während der Yacht-Rückführung von Den Haag nach Lissabon, erweitert. Anhand der ausgesetzten Treib-Bojen kann übrigens jetzt noch die Strömungsrichtung der Mikropartikel verfolgt werden. Weniger bekannt ist, dass die ozeanografischen Daten, die während des Rennens gesammelt wurden, unter anderem Auskunft über den aktuellen Stand sowie zukünftige Klimaveränderungen geben können. Und schließlich dienen die für die World Meteorological Organisation gesammelten Messwerte dazu, unser Wetter und Klima besser einschätzen und vorhersagen zu können.

Ende November wurde eine Zusammenfassung des VOR-Wissenschaftsprogramms mit seiner einzigartigen und umfangreichen Datensammlung während der Mikro2018  – einer weltweiten Wissenschafts-Konferenz zum Thema Mikroplastik ‒ vorgestellt. Die Wissenschaftler, die bisher meist unterschiedliche Systeme anwandten, waren sich einig: um weltweit valides Datenmaterial zu erhalten, sollten sämtliche Forschungsmethoden standardisiert werden.

Die Vision: Voluntary Observing Ships

Gutekunst möchte zudem auch am eigenen Projekt weiterfeilen, Probensysteme weiterentwickeln, Mikroplastik-Messungen eventuell direkt an Bord vornehmen, weitere Messparameter einführen und am liebsten ein paar weitere Yachten im nächsten Volvo Ocean Race und andere Plattformen mit Messsystemen ausstatten. Denn er weiß: „Wir haben das Problem verstanden, aber dennoch erst die Spitze des Eisberges angeschaut. Beispielsweise wissen wir kaum, was für große Folgen Mikroplastik in der Tiefsee haben kann oder wie sich die Mikroplastikkonzentration in den nächsten Jahren entwickelt,“ so seine Einschätzung der aktuellen Situation.

Forschung an Bord und in der Nacht. Foto: Dr. Sören Gutekunst

Gutekunsts Vision ist, ein einfaches, robustes und in-situ (vor Ort) Messinstrument zu haben, so dass damit private Segler als “Voluntary observing ships” (VOS) ausgerüstet werden können. Nur so sieht er eine Chance, Status und Entwicklung der Verschmutzung unserer Ozeane mit möglichst vielen aussagekräftigen Daten untermauern zu können um somit schließlich genauere Prognosen sowie Handlungsempfehlungen zu erstellen.

Bis dahin rät er jedem Einzelnen, die drei (beziehungsweise mittlerweile neun) großen R „reduse, reuse, recycle“  zu beherzigen. In der Industrie gilt es für ihn vor allem Verpackungsmaterialien neu zu erfinden und Polymere beziehungsweise Plastik nur da einzusetzen, wo es auch Sinn macht. Beispiele wären hier im Flugzeug- oder Fahrzeugbau zur Gewichtsreduzierung. Im Lebensmittelbereich könnte er sich ein Containerkonzept vorstellen, ähnlich dem, wie wir es mit EU Paletten auch geschafft haben. Insgesamt: Quality by Design, sozusagen. Eine gute Übersicht über die Verschmutzung der Ozeane bietet übrigens die Webseite Litterbase vom AWI Helmoltz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung sowie auch der Meeresatlas.

Foto oben: Das Team Turn The Tide on Plastic beim In-Port Race in Alicante ©Almut Otto