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Von Spurhaltesystemen über Einparkhilfen und Aufmerksamkeitsassistenten gibt es in modernen Autos jede Menge Sicherheitssysteme, die Autofahren für Fahrer und Passagiere sicherer machen sollen. Und es werden immer mehr. Eines fehlt bisher aber noch. Ein System, das den Gesundheitsstatus des Fahrers beobachtet und im Notfall eingreifen, Hilfe rufen und das Fahrzeug sicher zum Stehen bringen kann. Gleichzeitig nimmt das Durchschnittsalter der Autofahrer und somit auch die Gefahr krankheitsbedingter Notfälle hinter dem Steuer aber immer mehr zu.

Wissenschaftler des Engineering-Spezialisten IAV (Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr) und der Universität Oldenburg haben deshalb einen digitalen Assistenten entwickelt, der Gefahren aufgrund solcher Notfälle vorbeugen und auch Menschen mit Vorerkrankungen die Nutzung ihrer Autos erleichtern kann. Er beobachtet den Gesundheitsstatus des Fahrers, erkennt Veränderungen von Kurzatmigkeit bis Herzinfarkt und leitet im Notfall automatisiert Rettungsmaßnahmen ein.

Modulares System

“Existierende Assistenzsysteme wie Müdigkeits- oder Emergency-Assist-Programme wissen praktisch nichts über den Gesundheitszustand des Fahrers”, sagt Mark Busse, Abteilungsleiter Connected Systems Integration bei IAV. “Sie greifen damit in Gesundheitsnotfällen nicht oder zu spät ein. Mit dem von uns entwickelten Gesundheitsassistenten stellen wir sowohl die Vitaldaten des Fahrers wie auch Abweichungen vom individuellen Fahrverhalten ins Zentrum der Entscheidung, ob und in welchem Maß das Fahrzeug einschreitet.”

Unter dem Namen “The Car That Cares” haben IAV und die Universität Oldenburg diesen digitalen Gesundheitsassistenten bereits in einem handelsüblichen Pkw erfolgreich getestet. Dabei unterstützten die Forscher der Universität Oldenburg ihre IAV-Kollegen bei der Sensorik, der Erkennung von medizinischen Notfällen und der Bewertung von Medizinprodukten.

Das Sicherheitssystem ist modular aufgebaut und besteht bisher aus einem zertifizierten Brustgurt, der Puls und Atemfrequenz erfasst und einer KI-gestützten IAV-Software. Dazu kommt eine intelligente und gesicherte IAV-Cloud-Infrastruktur. In dieser Cloud analysiert eine von IAV entwickelte KI die Gesundheits- und Fahrzeugdaten, aus denen sie ein digitales Fahrerprofil erstellt und relevante Schwellwerte an das Fahrzeug übermittelt.

System ruft selbständig Hilfe

Falls die Software Abweichungen der Daten des Fahrers vom Normalzustand erkennt, die zu einem Sicherheitsrisiko werden könnten, werden die Assistenz- und Automatisierungsfunktionen des Fahrzeugs aktiviert. Die Machine Learning Algorithmen seien so trainiert, dass sie on- und offline Anomalien im Gesundheitszustand des Fahrers erkennen, sagen die Forscher. Dazu würden leichte bis schwere Einschränkungen und Notfälle wie beispielsweise Atemnot, Herzinfarkt oder Bewusstseinsverlust gehören.

“Das System reagiert konsequent, aber zugleich angemessen auf die Situation. In leichter Atemnot etwa warnt das System den Fahrer über das Infotainment-System und aktiviert bei Bedarf den Spurassistenten und verringert die Geschwindigkeit” so Jens Schulze — Abteilungsleiter Data Analytics & Fleet Validation bei IAV. “Bei Notfällen wie einem Herzinfarkt oder gar einem Bewusstseinsverlust kommt das Fahrzeug sicher am Straßenrand zum Halt und setzt einen eCall ab.” Allerdings habe der Fahrer jederzeit die Möglichkeit, selbst wieder einzugreifen und die eingeleiteten Maßnahmen zu stoppen.

Für Neufahrzeuge und zum Nachrüsten

Das System aus Brustgurt, Software und Cloud-Anbindung kann sowohl in Neufahrzeuge integriert werden, als auch in die bestehende Softwarearchitektur moderner Serienfahrzeuge eingebunden werden. Das gelte auch für Nutzfahrzeuge, sagen die Entwickler. “The Car That Cares könnte die Vitaldaten von Lastwagen- und Busfahrern beobachten, bei kritischen Veränderungen warnen – und im Notfall die tonnenschweren Fahrzeuge sicher zum Halten bringen.”

Im Laufe der Zeit sollen weitere Messsysteme und Sensoren, zum Beispiel zur Bestimmung der Sauerstoffsättigung und der Zuckerwerte, integriert werden. Die abgesicherte Dateninfrastruktur ließe sich dabei flexibel gestalten und so auf die Datenschutzbestimmungen des jeweiligen Landes anpassen.

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