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Wir fallen, wir werden verfolgt und können uns nicht bewegen, wir wollen schreien, aber es kommt kein Ton heraus, ein geliebter Mensch stirbt oder verschwindet plötzlich. Szenarien die wohl jeder schon mal in seinen Träumen erlebt hat. Kommen Angst- bzw. Alpträume häufiger vor als ein Mal pro Woche, gelten sie als Schlaf- und Angsttraumstörung. In Deutschland leiden laut Statistik rund fünf Prozent der Erwachsenen unter dieser Störung.

Hin und wieder mal einen Angsttraum zu haben, kann andererseits aber sogar gut für uns sein, denn wie Forscher der Universität Genf (UNIGE) und des Universitätsspitals Genf (HUG) in der Schweiz, in Zusammenarbeit mit der University of Wisconsin (USA) jetzt herausgefunden haben, haben diese schlechten Träume durchaus einen Zweck: Sie bereiten uns darauf vor, Situationen, in denen wir im Leben Angst haben, anzugehen.

Bewusstsein unterscheidet nicht zwischen Traum und Leben

Der Mannheimer Traumforscher und Autor des Buches Träume – Unser nächtliches Kopfkino, Michael Schredl, stellte bereits 2014 fest, dass das menschliche Bewusstsein zwischen Traum und Realität nicht unterscheiden kann. Traumbewusstsein und Wachbewusstsein sind komplett identisch. Die Wissenschaftler in der Schweiz gingen diesem Phänomen nun weiter nach und identifizierten in einer Untersuchung, welche Bereiche des Gehirns aktiviert werden, wenn die Menschen in ihren Träumen Angst haben.

Ein Patient mit einem hochdichten Elektroenzephalogramm (EEG), das die Gehirnaktivität während des Schlafes mit zahlreichen Elektroden am Schädel misst. © Dorothée Baumann

Dazu analysierten sie mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) im Schlaflabor die Gehirnaktivität von 18 Probanden, die sie in der Nacht mehrmals weckten. Jedes Mal, wenn die Teilnehmer geweckt wurden, mussten sie eine Reihe von Fragen beantworten, wie zum Beispiel: Hast du geträumt? Und wenn ja, hattest du Angst? Das Wecken aus den Träumen ist unerlässlich, da das Gehirn Träume während des REM-Schlafes aus dem Gedächtnis löscht und daher eine Befragung am nächsten Tag unmöglich macht.

Die Wissenschaftler verwendeten in ihren Tests die High-Density-Elektroenzephalographie, bei der mehrere Elektroden auf dem Schädel positioniert sind, um die Gehirnaktivität zu messen. Dabei entdeckten sie, dass bestimmte Regionen des Gehirns für die Entstehung von Träumen verantwortlich sind, während andere Regionen je nach Inhalt eines Traums, wie Wahrnehmungen, Gedanken oder Emotionen, aktiviert werden.

Traumtagebuch

Durch die Auswertung der Gehirnaktivität anhand des EEGs konnten die Forscher zwei Hirnregionen identifizieren, die bei Angstträumen besonders aktiv waren: die Inselrinde und den Gyrus cinguli. Die Inselrinde wird auch im Wachzustand automatisch aktiviert, wenn jemand Angst hat. Der Gyrus cinguli spielt in bedrohlichen oder angsteinflößenden Situationen eine Rolle dabei, Fluchtreaktionen vorzubereiten. „Zum ersten Mal haben wir die neuronalen Korrelate der Angst im Traum identifiziert und beobachtet, dass ähnliche Regionen aktiviert werden, wenn wir Angst sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand erleben”, erklärt Lampros Perogamvros, leitender klinischer Dozent im HUG Schlaflabor, Abteilung Pneumologie.

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Anschließend untersuchten die Forscher einen möglichen Zusammenhang zwischen der Angst, die während eines Traums auftritt, und den Emotionen, die im Wachzustand auftreten. Hierzu gaben sie 89 Teilnehmern für die Dauer einer Woche ein Traumtagebuch, in dem die Probanden jeden Morgen nach dem Aufwachen aufschreiben sollten, ob sie sich an ihre Träume erinnerten und die Gefühle, die sie empfanden, einschließlich der Angst. Am Ende der Woche wurden mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) die Gehirnaktivitäten der Teilnehmer gemessen, während ihnen unterschiedliche Bilder gezeigt wurden: „Emotional-negative Bilder“, wie z.B. Übergriffe, und auch neutrale Bilder. Das Ziel war, herauszufinden, welche Bereiche des Gehirns bei Angst aktiver waren und ob sich der aktivierte Bereich verändert hatte, je nach den Emotionen, den die Teilnehmer in ihren Träumen erlebtet hatten.

Hierbei stellte sich heraus, dass die Inselrinde, der Gyrus cinguli und Amygdala (ein Teil des Limbischen Systems) umso weniger aktiviert wurden, wenn ein Proband negative Bilder betrachtete, je mehr Angst er in seinen Träumen empfunden hatte. „Darüber hinaus stieg die Aktivität im medialen präfrontalen Kortex, von dem bekannt ist, dass er die Amygdala im Falle von Angst hemmt, im Verhältnis zur Anzahl der schlechten Träume an“, sagt Virginie Sterpenich, Forscherin am Department of Basic Neurosciences der UNIGE.

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Neue Therapieansätze?

Diese Ergebnisse zeigen nach Aussagen der Wissenschaftler den sehr starken Zusammenhang zwischen den Emotionen, die wir sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand spüren und bestätigen außerdem eine neurowissenschaftliche Theorie über Träume: Wir simulieren beängstigende Situationen, während wir träumen, um besser auf sie zu reagieren, wenn wir wach sind. „Träume können als ein echtes Training für unsere zukünftigen Reaktionen angesehen werden und uns möglicherweise darauf vorbereiten, uns auf reale Lebensgefahren einzustellen”, so Perogamvros.

Aufgrund der neuen Erkenntnisse wollen die Forscher nun untersuchen, ob diese Erkenntnisse zu möglichen neuen Formen der Traumtherapie zur Behandlung von Angststörungen führen können. Im Rahmen dieser Forschung wollen sie auch Alpträume untersuchen. Diese würden – im Gegensatz zu schlechten Träumen, in denen das Ausmaß der Angst moderat ist – aufgrund eines übermäßigen Maßes an Angst den Schlaf stören und sich sogar nach dem Aufwachen negativ auf den Menschen auswirken. „Wir glauben, dass, wenn eine bestimmte Schwelle der Angst in einem Traum überschritten wird, sie ihre nützliche Rolle als emotionaler Regulator verliert”, betont Perogamvros.