© KS Engineers

Am Institut für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik der TU Graz entsteht ein neuartiger Prüfstand, der erstmals Untersuchungen von Bremsbelastungen und deren Auswirkungen auf das komplette Fahrwerk ermöglicht.

„Mit diesem Prüfstand machen wir einen neuen Forschungsbereich auf und betreten Neuland“, freut sich Martin Leitner. Der Begriff „Neuland“ wurde vom Leiter des Instituts für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik der TU Graz bewusst gewählt: Zum einen wird das Institut zukünftig als eine der weltweit wenigen unabhängigen Prüfstellen für Bremssysteme von Schienenfahrzeugen am Markt agieren. „Im Schnitt können die Wartezeiten für solche Zulassungsprüfungen derzeit bei einem halben bis ganzen Jahr liegen. Hier wollen wir Abhilfe schaffen“, so Leitner. Zum anderen wird ein wesentlicher Fokus der geplanten Untersuchungen auf Forschungs- und Entwicklungsprojekten liegen, welche über die Standardanwendungen hinaus gehen, so TU Graz in einer Pressemeldung.

Innovatives Konzept: E-Motor statt Schwungrad

Konventionelle Prüfstände dieser Art funktionieren mit Stahlscheiben mit Massen von mehreren Tonnen  je Scheibe, welche – angetrieben von einem vergleichsweise kleineren Motor – eine enorme Energie speichern können. Diese rotierenden Schwungmassen simulieren die Trägheit eines Schienenfahrzeugs und werden mit den zu prüfenden Bremsen abgebremst. „Der Schwungrad-Prüfstand ist relativ unflexibel und durch den komplexen mechanischen Aufbau anfällig für Schwingungen im Antriebsstrang. Weiters sind keine durchgängigen Bremstests bis zum kompletten Stillstand des Schwungrads umsetzbar“, schildert Martin Leitner die möglichen Schwachpunkte.
Der neue Bremsenprüfstand der TU Graz beruht auf einem innovativen Konzept. Statt Schwungmassen kommt ein vergleichsweise größerer E-Motor mit 1,4 Megawatt Leistung zum Einsatz. Das ermöglicht flexible Testszenarien mit rasch veränderlichen Beanspruchungen. Geprüft werden dabei auch Bremssysteme von Hochgeschwindigkeitszügen mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h.

Größerer Variantenreichtum dank zweiter Prüfkammer

Mehr noch: Das innovative Antriebssystem eröffnet eine Vielzahl neuer fahrzeugspezifischer Versuche – von Bremsungen bis zum vollständigen Stillstand sowie Parkbrems- und Halteruckversuche. Darüber hinaus zählt der Prüfstand zwei Prüfkammern mit jeweils einer eigenen E-Maschine. Eine Prüfkammer steht für Standard-Prüfungen von Einzelkomponenten wie Scheiben- oder Klotzbremsen zur Verfügung. Die zweite Prüfkammer erfüllt zusätzlich spezielle Funktionalitäten für weitere Versuchsszenarien mit größerem Platzbedarf.

Dadurch ergeben sich auch für die Grundlagenforschung völlig neue Möglichkeiten, wie Leitner erklärt: „Im Realbetrieb führen Bremsvorgänge und die dabei auftretenden Schwingungen dazu, dass die Bauteile des Fahrwerks durch die immer wiederkehrenden Belastungen ermüden. Das kann zu Rissen im Material führen, welche in weiterer Folge ein Versagen verursachen können.“ Diese bremsinduzierten Schwingungen sind wissenschaftlich noch wenig erforscht. Der neue Prüfstand der TU Graz soll hier neue Erkenntnisse liefern.

Grazer Prüftechnikspezialist realisiert Umsetzung

Für Konzeptionierung und Umsetzung des Prüfstands verantwortlich zeichnet das weltweit tätige Technologieunternehmen KS Engineers. Der 600-köpfige Betrieb, mit Hauptsitz in Graz, ist ein international führender Anbieter von Prüfständen und Prüftechnik für die Automobil- und Motorenindustrie. Insbesondere im Bereich der in diesem Zusammenhang komplexen Hochvolt- und Regelungstechnik wird das steirische Unternehmen seine Expertise im Projektvorhaben mit der TU Graz einbringen, bestätigt KS-Geschäftsführer Stefan Pircher: „Mit der Umsetzung dieses Hightech-Prüfstands für die Bahnsystemtechnik können wir unsere weitreichenden Erfahrungen im Bereich der alternativen Antriebe einmal mehr unter Beweis stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir unsere langjährige Kooperation mit der Technischen Universität Graz nun um ein weiteres Kapitel anreichern dürfen.“

Derzeit läuft die finale Designphase, im Frühjahr 2022 möchte man in die Fertigung gehen. Die Investitionskosten belaufen sich auf mehrere Millionen Euro. Die Halle für den Prüfstand am Campus Inffeldgasse wurde bereits fertiggestellt, wobei aktuell die letzten Adaptierungsarbeiten durchgeführt werden. Der Prüfstand wird elastisch und dämpfend auf Luftfedern gelagert damit die Schwingungen, die bei den Versuchen entstehen, nicht ins Gebäude übergehen und Schäden verursachen. Der Aufbau der einzelnen Prüfstandskomponenten soll im Sommer 2022 beginnen. Danach starten Vorversuche für die Abnahme: Leitner und sein Team, allen voran Laborleiter Peter Brunnhofer, haben die Akkreditierung nach ISO/IEC 17025 sowie die UIC-Zertifizierung als Ziel. Der reguläre Prüfbetrieb soll 2023 starten, wobei erste Kooperationspartner bereits Interesse bekundet haben. „Die Gespräche zu künftigen Zusammenarbeiten laufen gut und wir freuen uns, wenn wir unseren innovativen Prüfstand herzeigen und vor allem in Betrieb nehmen können“, so Martin Leitner.

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