Foto: IntCDC, Universität Stuttgart / Robert Faulkner
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Das Bauwesen steht derzeit vor den Herausforderungen, künftig weniger Ressourcen zu verbrauchen und dadurch auf eine nachhaltige Entwicklung umzustellen. Hierfür bedarf es neuer ressourceneffizienter Ansätze in der Architektur bezüglich des Einsatzes von nachwachsenden Rohstoffen. In einem gemeinsamen Projekt haben Forschende der Universitäten Freiburg und Stuttgart einen Leichtbau-Pavillon entworfen aus robotisch gewickelten Flachsfasern. Mit diesem Pavillon im Botanischen Garten der Universität Freiburg präsentiert das Team ein Modell für eine nachhaltige, ressourceneffiziente Alternative zu konventionellen Bauweisen.

Im Gegensatz zu Glas- oder Kohlestofffasern und auch zahlreichen anderen Naturfasern sind Flachsfasern regional verfügbar und wachsen in jährlichen Erntezyklen. Sie sind zu 100 Prozent erneuerbar, biologisch abbaubar und bieten daher eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung ressourcenschonender Alternativen in der Bauindustrie. Sie haben das Potenzial, insbesondere in Kombination mit effizientem Leichtbau, den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden deutlich zu reduzieren. Aus diesen Gründen sind die tragenden Elemente des sogenanntes „livMatS Pavillons“ (Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems) aus Flachsfasern hergestellt.

Natur als Vorbild

Die Forschenden ließen sich in der Entwicklung des Pavillons von der Natur leiten. Als Inspiration für die netzförmige Anordnung der Naturfasern und der kernlosen Wicklung der Bauteile des Bionik-Pavillons dienten der Saguaro-Kaktus (Carnegia gigantea) und der Feigenkaktus (Opuntia sp.). Beide Kakteen zeichnen sich durch ihre besondere Holzstruktur aus. Der Saguaro-Kaktus verfügt über ein zylinderförmiges Skelett, das innen hohl und dadurch besonders leicht ist. Es besteht aus einer netzartigen Holzstruktur, die dem Skelett zusätzlich eine besondere Stabilität verleiht.

„Diese Struktur entsteht, indem die einzelnen Elemente miteinander verwachsen“, erläutert Prof. Dr. Thomas Speck, Direktor des Botanischen Gartens der Universität Freiburg. „Das Gewebe der abgeflachten Seitentriebe des Feigenkaktus durchziehen ebenfalls vernetzte Holzfaserbündel, die in Schichten angeordnet und miteinander verbunden sind. Hierdurch zeichnet sich auch das Gewebe des Feigenkaktus durch eine besonders hohe Belastbarkeit aus.“

Die Forschenden haben diese Netzstrukturen der biologischen Vorbilder abstrahiert und im livMatS-Pavillon durch das Wickeln, das „coreless winding“ der Naturfasern umgesetzt. Durch diese Abstraktion – bei Pflanzen existieren keine Wickel- oder Flechtprozesse – konnten die Forschenden die mechanischen Eigenschaften der vernetzten Faserstrukturen auf die Leichtbau-Tragelemente des livMatS-Pavillons übertragen.

Robotische Fertigung

„Faserverbundwerkstoffe weisen ein hervorragendes Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht auf“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Jan Knippers der Universität Stuttgart. „Diese Eigenschaft bietet eine ausgezeichnete Basis für die Entwicklung innovativer, materialeffizienter Leichtbaustrukturen.“ Konzentrierte sich die Forschung bisher auf synthetisch hergestellte Faserverbundstoffe wie zum Beispiel Glas und Kohlestofffasern, so erweitert sich mit dem „livMatS Pavillon“ das Materialsystem um den Einsatz von Naturfasern.

„Im Hinblick auf das computerbasierte Design, die Arbeitsabläufe der robotischen Fertigung sowie die Maschinensteuerung, stellten die Naturfasern und ihre biologische Variabilität uns Forschende vor neue Herausforderungen“, sagt Prof. Achim Menges vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart. Denn die Prozesse wurden ursprünglich für synthetische, homogene Materialien entwickelt und mussten nun auf die Materialeigenschaften der Flachsfasern übertragen werden.

Die Anpassung des integrativen computerbasierten Modells ermöglichte es, diese heterogenen Materialeigenschaften in Entwurf und Planung der einzelnen Komponenten sowie der Gesamtstruktur einzubeziehen.

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