© Volker Lannert/Uni Bonn
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Spätestens seit vergangenem Jahr, seit Beginn der Coronapandemie, ist das Wort „Antikörper“ schon fast ein Teil unseres täglichen Sprachgebrauchs geworden. Diese kleinen Aufpasser sind ein wichtiger Teil unseres Immunsystems, um Infektionen abzuwehren, indem sie sich an Oberflächen-Strukturen eines Bakteriums oder Virus anheften. So verhindern sie, dass sich das Virus oder Bakterium vermehrt und der Mensch – zum Beispiel an COVID-19 – erkrankt. Solche Antikörper in großen Mengen herzustellen und den Erkrankten zu spritzen, wäre also ein Weg, Krankheiten erfolgreich bekämpfen zu können. US-Präsident Donald Trump betont, dass er bei seiner Coronainfektion auf diese Weise behandelt worden und deshlab so schnell genesen sei.

Allerdings sind die Antikörper, mit denen er behandelt wurde, in ihrer Struktur sehr komplex. Sie gelangen nicht sehr tief ins Gewebe und können möglicherweise ungewollte Komplikationen hervorrufen. Darüber hinaus ist es sehr schwierig und zeitaufwändig, Antikörper zu produzieren, wodurch sie sich für den breitflächigen Einsatz nicht einen.

„Nanobodies“ als Lösung

„Wir setzen dagegen auf eine andere Gruppe von Molekülen, die Nanobodies“, erklärt Dr. Florian Schmidt, der am Institut für Angeborene Immunität der Universität Bonn eine Emmy-Noether-Gruppe zu diesem vielversprechenden neuen Forschungsgebiet leitet. „Dabei handelt es sich um Antikörper-Fragmente, die so simpel aufgebaut sind, dass man sie von Bakterien oder Hefen produzieren lassen kann, was mit geringeren Kosten verbunden ist.“ Diese Nanobodies sind viel kleiner als klassische Antikörper. Sie dringen daher besser ins Gewebe ein und können auch einfacher in größeren Mengen hergestellt werden.

Eine Schwierigkeit bleibt jedoch auch hier bestehen. Da das Immunsystem fast unendlich viele verschiedene Antikörper produziert, die alle unterschiedliche Zielstrukturen erkennen, können nur ganz wenige zum Beispiel das SARS-Coronavirus-2 außer Gefecht setzen. Diese Antikörper zu finden, sei wie die Suche nach einem einzelnen Sandkorn an Deutschlands Ostsee-Küste, gibt Schmidt zu. „Wir haben dazu zunächst ein Oberflächenprotein des Coronavirus in ein Alpaka und ein Lama injiziert“, erläutert der Wissenschaftler. „Ihr Immunsystem produziert dann vor allem solche Antikörper, die sich gegen dieses Virus richten. Lamas und Alpakas bieten zudem den Vorteil, dass sie neben komplexen normalen Antikörpern auch eine einfachere Variante herstellen, die als Basis für Nanobodies dienen kann.“

Anhand von Blutproben, die sie den Tieren einige Wochen später entnahmen, gewannen die Wissenschaftler die genetische Information aller Antikörper, die diese gerade produzierten. Nachdem diese „Bibliothek“ immer noch Millionen verschiedene Baupläne enthielt, sortierten sie mit einem aufwändigen Verfahren diejenigen heraus, die auf der Oberfläche des Coronavirus das Spike-Protein erkennen. „Insgesamt erhielten wir so Dutzende Nanobodies, die wir dann weiter untersuchten“, erklärt Dr. Paul-Albert König, Leiter der Core Facility Nanobodies an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn und Erstautor der Studie.

Vier von mehreren Millionen

Am Ende waren in Zellkulturen vier Moleküle tatsächlich effektiv gegen den Erreger. „Durch Röntgenstruktur- und Elektronenmikroskopie-Analysen konnten wir zudem zeigen, auf welche Weise sie mit dem Spike-Protein des Virus interagieren“, erklärt König.

Bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus wirkt das Spike-Protein wie eine Art Klettband, mit dem sich das Virus an die Zelle anheftet. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, wirft das Klettband den Bestandteil ab, der für die Anheftung wichtig ist und die Hülle des Virus fusioniert mit der Zelle. „Auch die Nanobodies scheinen diese Strukturänderung auszulösen, bevor das Virus auf seine Zielzelle trifft – ein unerwarteter und neuartiger Wirkmechanismus“, sagt König. „Die Änderung ist vermutlich irreversibel; das Virus kann also nicht mehr an seine Zielzellen binden und sie infizieren.“

Ein weiterer großer Vorteil von der Nanobodies gegenüber Antikörpern ist, dass sie sich aufgrund ihres einfachen Aufbaus leicht zu Molekülen kombinieren lassen, die mehrere hundert Mal effektiver sein können. „Wir haben zwei Nanobodies fusioniert, die sich gegen unterschiedliche Teile des Spike-Proteins richten“, erklärt König. „Diese Variante war in Zellkulturen hochwirksam. Zudem konnten wir nachweisen, dass so die Wahrscheinlichkeit drastisch sinkt, dass das Virus durch eine Mutation resistent gegen den Wirkstoff wird.“ Mittelfristig könnten sich die Moleküle zu einer neuen vielversprechenden Therapieoption entwickeln, sind König und seine Kollegen überzeugt. Das Unternehmen Dioscure Therapeutics, eine Ausgründung der Universität Bonn, soll die Nanobodies nun in klinischen Studien testen.

An der Studie, die unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde, waren Institutionen aus Deutschland, Schweden und den USA beteiligt. Weitere Förderer sind die Medizinische Fakultät der Universität Bonn, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Klaus Tschira Boost Funds, die Baden-Württemberg Stiftung und die MWK Baden-Württemberg. In den USA förderten die Bill and Melinda Gates Foundation, das U.S. Department of Energy, das National Institutes of Health (NIH), das National Institute of General Medical Sciences (NIGMS) sowie das National Cancer Institute (NCI) das Projekt, in Schweden das Swedish Research Council sowie die Knut and Alice Wallenberg Foundation.

Die Forscher haben die Ergebnisse ihrer Studie in der Fachpublikation Science veröffentlicht.

Titelbild: Zellkulturgefäße mit angefärbten Zellen, in denen sich Virusreplikationen durch die vom Virus verursachten Löcher im Zellrasen (Plaques) quantifizieren lassen. © Volker Lannert/Uni Bonn