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Für kleine Verletzungen wie Schnitte oder Abschürfungen gibt es Pflaster, die auf die Wunde kommen. Den Rest übernehmen dann die körpereigenen Selbstheilungskräfte. Etwas schwieriger wird es allerdings bei größeren Blessuren, wenn beispielsweise Nervenbahnen durchtrennt sind. Dann sind etwas aufwändige Methoden nötig, wie das Zusammennähen der entstandenen Nervenstümpfe. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung und des Instituts für Physiologische Chemie der Universität Ulm haben nun ein neuartiges Biomaterial entwickelt, das die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützen könnte.

Bei Unfällen passieren häufig Verletzungen des sogenannten peripheren Nervensystems, d.h. Nervenbahnen werden teilweise oder komplett durchtrennt. In diesen Fällen hängen die Heilungschancen dann sehr stark davon ab, wie schwer die Verletzungen sind: Sind die Nervenbahnen noch teilweise verbunden? Wie groß ist die Lücke zwischen den beiden Nervenenden? Liegt der Abstand zwischen ein paar Millimetern bis Zentimetern, wird heutzutage im Allgemeinen operiert. Dabei werden die Nervenenden wieder miteinander vernäht, um sie so nahe wie möglich zusammenzubringen. Dann können die körpereigenen Kräfte die verbleibende kleine Lücke durch die Bildung von Zellen wieder schließen. Das verspricht zumindest eine teilweise Regeneration.

Nun arbeiten Forscher daran, Flüssigkeiten zu entwickeln, die sogenannte Nanofasern enthalten, um die Wundheilung zusätzlich zu unterstützen. Nanofasern sind in Wasser gelöste Molekülstränge und bestehen aus sogenannten Peptiden, d.h. kurzen Ketten von Aminosäuren, wie sie auch in menschlichen Proteinen vorkommen. Diese Ketten dienen nach Aussagen der Wissenschaftler„als Gerüst bzw. Haftgrund für Zellen und können ein zweidimensionales Gitter oder auch dreidimensionales Netzwerk zu bilden, an dem Nerven- oder auch Muskelzellen anhaften können.“ Diese entwickelte Flüssigkeit ist für den menschlichen Körper ungiftig und kann durch Spritzen in Wunden eingebracht werden, wo sie viele Wochen verbleibt, bevor sie durch körpereigene Prozesse abgebaut wird.

Nanofaser
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Viele mögliche Kombinationen

Die Frage, die die Forscher lösen mussten, um ein peptidbasiertes Bionetzwerk herstellen zu können, war, die richtige Kombination von Molekülen zu finden. Sie mussten aus der Vielzahl an möglichen Kombinationsmöglichkeiten – sogenannten Sequenzen – diejenigen identifizieren, die sowohl eine gute Biokompatibilität als auch eine optimale Zellanhaftung bieten.

Dazu hätten sie zunächst eine Reihe von Nanofasern mit systematischen Veränderungen ihrer Peptidsequenz hergestellt und in Zellkulturen getestet, erklären die Wissenschaftler. „Mittels detaillierter molekularer Analysen und einem computergestützten Algorithmus konnten wiederkehrende Merkmale in der Molekülstruktur identifiziert werden, die eine hohe Eignung für die Regeneration von Nervenzellen erwarten lassen.“ Anschließend haben sie die so identifizierten Peptidsequenzen bei von Zelltests auf ihre Fähigkeit untersucht, neuronales Wachstum zu unterstützen.

„Unser Bionetzwerk kann man sich ähnlich wie ein Rankgitter für Tomatenpflanzen vorstellen“, erlklärt Gruppenleiter Christopher Synatschke. „Ohne Gitter können die Pflanzen nicht in die Höhe wachsen. Wir haben – übertragen auf Tomatenpflanzen – ein Gitter ausgewählt, an dem die Pflanze besonders gut haften kann. In einem miniaturisierten Maßstab hilft unser Material den Nervenzellen, die Kluft zwischen zwei Nervenenden zu überbrücken.“

Praxistest an Mäusen

Bei anschließenden Praxistests, bei denen die Funktionsfähigkeit des besten Materials überprüft wurde, wurde Mäusen in einem – wie die Wissenschaftler betonen, „minimalen chirurgischen Eingriff“ – ein Gesichtsnerv durchtrennt, der den für die Schnurrhaare zuständigen Muskel steuert. Im Laufe der nächsten Wochen zeigte sich bei den Mäusen, bei denen in den künstlich erzeugten Zwischenraum zwischen den Nervenenden Biomaterial injiziert wurde, ein schnellerer und umfassenderer Heilungsprozess als bei nicht behandelten Mäusen.

Die Forscher vermuten, dass die hergestellten Peptid-Ketten dazu führen, dass körpereigene, wachstumsfördernde Proteine länger in der Wunde bleiben. „In Zukunft wäre es daher denkbar, die Ketten so zu funktionalisieren, dass zusätzlich zu der Gerüststruktur noch zellwachstumsfördernde Moleküle mit in das Biomaterial eingebracht werden können, um so deren Heilungspotential noch weiter zu erhöhen“, sagen Synatschke und seine Kollegen. Außerdem hoffen sie, in Zukunft eine Methode entwickeln zu können, die auch auf Nervenschädigungen beim Menschen übertragbar ist.