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Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt wird ein Zitat zugeschrieben, das es in sich hat: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“. Das „Bonmot“ wird gerne verwendet, um vermeintlich irre Ideen ad absurdum zu führen.

Inzwischen allerdings scheint eine Generation von Politikern aller Lager diesen Satz völlig falsch zu interpretieren. Das manifestiert sich durch eine ideenlose, blutleere Politik, die nicht einmal irgend eine Zukunft beschreibt und Sprechblasen lebt. Dementsprechend inhaltsleer war der Bundestagswahlkampf der letzten Wochen.

Die „Grünen“ stürzten ab – trotz Klimakrise. Eine frohlockende Union machte es sich bequem mit einem munteren „weiter so“, wobei sie vermutlich nicht mal erkannte, was das „weiter so“ bedeutete. Beispiel: Angela Merkels Politik der letzten Jahre hat viele Versäumnisse beinhaltet, eines davon war das Herumirren in einer Verkehrspolitik, die man faktisch als „Sabotage“ bezeichnen muss.

Scheckbuchpolitik

Zwar hat man das finanzielle Füllhorn für die Transformation zur Elektromobilität geöffnet, aber keine Leitplanken für den Weg dorthin aufgestellt. Wie immer dachte man, durch eine Scheckbuchpolitik alles lösen zu können. Die Rechnung allerdings beachtete man seit Jahren nicht und spielte auch im „Wahlkampf“ keine Rolle. Für die Bürger allerdings schon.

Apropos „Wahlkampf“. Der hätte zwar mit vielen Inhalten gefüllt werden können, angefangen vom Klima über die Verkehrs-, Energie-, Infrastruktur-, Digital-, Industrie und Außenpolitik, aber keine der großen Parteien schien sich darüber wirklich Gedanken zu machen. Das Land lief auf (analogem) Autopilot, während eine abgehalfterte Politiker-Truppe im Raumschiff Berlin, die in ihrem Leben noch nie richtig gearbeitet hat, dem Volk erklärte, dass es in Zukunft noch mehr Geld ausgeben müsse.

Nachfolger von „Mutti“

Wie beim Pokern machte derjenige das Rennen, der am wenigsten „zuckte“. Olaf Scholz, der Kandidat der Sozialdemokraten. Seine Strategie: „lass die anderen machen, am Ende werde ich übrig bleiben“ stellte sich als goldrichtig heraus. Inhalte bei den Sozialdemokraten?  Fehlanzeige. Keine Antworten zu den wichtigen politischen Fragen der nächsten Jahre. Aus der Ecke der Hinterbänkler kamen die üblichen Plattitüden wie „soziale Gerechtigkeit“ und „Steuererhöhungen“. Scholz machte faktisch die Raute und empfahl sich als Nachfolger von „Mutti“, als „Pappi“ quasi.

Die Union, das kristallisierte sich gegen Ende der Wahlkampfphase heraus, hatte den Schlafwagen nie verlassen. Man muss sich wundern, dass das Ergebnis noch im 20 Prozent-Bereich eingefahren wurde.

Die Freien Demokraten versuchten eine argumentative Politik zu machen. Was naturgemäß sehr schwer in einer emotional aufgeladenen Umgebung ist. Vor allem die Erstwähler waren vom Wahlprogramm der FDP (in Ermangelung von Alternativen) überzeugt und überholten zahlenmäßig die Erstwähler der „Grünen“, was die Presse hämisch kommentierte.

Industriemuseum Deutschland

Überhaupt „Die Presse“: die musste schmerzlich feststellen, dass ihre unverhohlene Wahlkampfunterstützung für die „Grünen“ vom Bürger kaum angenommen wurde. Sicher, das Klima ist wichtig, aber wer Angst um sein Vermögen hat, der ist nur schwer davon zu überzeugen, beispielsweise noch mehr Geld für eine völlig verkorkste Energiewende, Digitalisierung auf Kinderzimmer-Niveau oder „mutwillig sabotierte“ Infrastruktur auszugeben. 

Die Industrie hingegen verhielt sich auffällig still. Nur hier und da war die Rede vom dräuenden Industriemuseum Deutschland. Klar, der immerwährende Ruf nach Subventionen und niedrigen Energiepreisen hörte auch vor der Wahl nicht auf.

Was können wir also für die Zukunft erwarten? Wird sich eine Koalition finden, die die drängenden Probleme der nächsten Jahre lösen kann? Klima, Energie, Verkehr, Digitalisierung und Industrie, um nur einige zu nennen?

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird bei beiden Koalitionen, also Schwarz-Grün-Gelb (Jamaika) bzw. Rot-Gelb-Grün (Ampel) das Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen kommen. Quasi als Feigenblatt für die Klimadiskussion. Die Elektromobilität wird in beiden Koalitionen so weiterlaufen wie bislang, ob die Schläfrigkeit im Verkehrs- und Wirtschaftsministerium durchbrochen wird, hängt von den Protagonisten ab. Möglicherweise wird die staatliche Subvention für PHEVs auf Betreiben der Grünen gecancelt werden. Die Erneuerung der Infrastuktur wird durch den grünen Koalitionspartner schwierig werden. Dort stehen Autobahnen nicht mehr an erster Stelle, sondern Radautobahnen für die urbane Klientel.

Benzinpreis

Der Benzinpreis wird, schon wegen der CO2-Abgabe, weiter steigen und ganz sicher in Richtung 3 Euro marschieren. Das wird für Unruhe sorgen. Bereits jetzt wurde die 2-Euro-Hürde für Super auf Autobahnen hier und da durchbrochen. 

Die Energiepreise werden steigen. Und zwar vehement. Das ist zwar kontraproduktiv für die Elektromobilität, aber der Staat braucht Einnahmen um das verkorkste EEG weiter zu beatmen. 

Der Anteil der Kohlekraftwerke allerdings wird nicht so schnell sinken, wie erwartet. Durch die Abschaltung der letzten AKW muss nämlich eine 10 GW-Lücke für die Industrie vor allem im Süden geschlossen werden. Der Ausbau regenerativer Energieerzeugung wird zwar beschleunigt werden, aber für die Grundlast erst mal kaum Relevanz entwickeln, denn die wichtige Nord-Süd-Verbindung für das Stromnetz bleibt das Sorgenkind der Industrie. 

Also mehr Importe aus Frankreich (Kernkraft) und Polen (Kohle).

Die Energiespeicherung wird weiter stiefmütterlich behandelt werden, daran wird auch die Sprechblase „Wasserstoff“ nichts ändern. Die ist ohnehin nur bei Jamaika relevant, bei einer Ampel wird der Wasserstoff als Speicher kaum einen Blumentopf gewinnen. Andererseits hört man von den Grünen dazu recht wenig.

Innovationen

Auf Häuslebauer und Hausbesitzer könnten durch eine Solardach-Pflicht empfindlich höhere Kosten zukommen. Die Energie-Optimierungsmaßnahmen für bestehende Immobilien werden mit ziemlicher Sicherheit bei beiden Koalitionen teuer werden. Auch das wird für Unruhe sorgen.

Dürfen wir „Innovationen“ erwarten? Beispielsweise eine V2G-Technologie, die das Stromnetz infolge des „Zappelstroms“ durch Solar und Wind stabilisiert? Oder größere Anstrengungen bei der Digitalisierung? Oder Forschen an neuen Energieerzeugern wie dem Flüssigsalzreaktor? 

Hier wird die Ideologie mal weniger (Jamaika) mal mehr (Ampel) im Weg stehen. Pragmatismus wäre zwar angesagt, wird sich aber kaum, das lehrt uns die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, durchsetzen können. Die allumfassende Bürokratie wird schnelle und dynamischere Änderungen behindern.

Die Voraussetzungen für eine „echte Vision“, so viel steht fest, sind denkbar schlecht. Egal welche Koalition am Ende gebildet wird. Fragt sich nur, ob dann genügend Ärzte – diesmal für den Bürger, der das alles bezahlen soll – bereitstehen.

Zu dieser Rubrik:

In einer wöchentlichen Kolumne, abwechselnd geschrieben von Bert Overlack, Eveline van Zeeland, Eugène Franken, Helen Kardan, Katleen Gabriels, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla und Colinda de Beer versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, manchmal ergänzt durch Gastblogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit.

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