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Diese Woche war ich auf einer Veranstaltung eingeladen, auf der Studentenprojekte vorgestellt und prämiert wurden. Tolle Ideen, innovative Ansätze zu wichtigen Problemen unserer Zeit und begeisterte Student*innen, die für ihre Projekte brannten und dies auch sehr authentisch zeigen konnten. Leider wurden, wie bei jedem Wettbewerb, nur wenige ausgezeichnet. Wie immer, wenn es darum geht zu gewinnen – oder zu verlieren. Aber haben die die anderen Projekte wirklich verloren oder sind sie gar gescheitert? Aus der Sicht einzelner TeilnehmerInnen mag sich dies so anfühlen. Ein Ziel, zu gewinnen, wurde nicht erreicht. Natürlich macht sich jeder Hoffnung, einen der begehrten Preise zu gewinnen. So wie jedes Startup- oder Gründerteam hofft, ein erfolgreiches Unternehmen mit einem skalierbaren Geschäftsmodell aufbauen zu können, jeder Nachfolger davon träumt, das alte Familienunternehmen in die nächste Generation übergeben zu können, und jeder Projektleiter sich dafür einsetzt, dass sein Innovationsprojekt ein durchschlagender Erfolg wird.

Identität

Das wird nicht allen gelingen. Bleiben wir realistisch. Einige der gezeigten Projekte werden realisiert werden, andere nicht. Das kann verschiedene Gründe haben: technische, kaufmännische, strategische. Die meisten Startups gibt es nach 3 Jahren nicht mehr, viele Familienunternehmen überleben die zweite Generation nicht, und die meisten Produktinnovationen werden innerhalb von einem Jahr wieder vom Markt genommen, weil sie am Markt nicht erfolgreich sind. Sie sind, um in der Sprache des Erfolgs zu sprechen, gescheitert. Für mich bedeutet Erfolg das Erreichen selbstgesteckter bedeutsamer Ziele; und Scheitern beschreibt das entgültige Nicht-Mehr-Erreichen können eines Ziels. Wir leben in Europa in erfolgsorientierten Gesellschaften und Kulturen. Zeigen zu können, dass wir etwas können, dass wir unsere Ziele erreichen und damit einen Beitrag für unsere Unternehmen leisten, ist für die meisten von uns wichtig. Viele machen ihre Identität hiervon abhängig. Ich bin nur wenn ich erfolgreich bin.

Stillezeit, ein Interview mit dem Autor

Ich halte das für problematisch und es geht an der Realität vorbei. Wird sind nicht alle erfolgreich. Und schon gar nicht immer und zu jeder Zeit. Ich halte viele Vorträge zum Thema unternehmerisches Scheitern und oft kommen im Anschluss gestandene Unternehmer zu mir und bedanken sich dafür, dass ich eine gern ignorierte, tabuisierte und stigmatisierte Tatsache offen ausspreche. Ich kann das, weil ich vor 8 Jahren für meine Unternehmensgruppe Insolvenz habe anmelden müssen. Ich weiss, wie sich das anfühlt, einen Teil seiner Identität aufgeben zu müssen, nicht erfolgreich zu sein, gescheitert zu sein.

Herz

Was wäre, wenn wir immer nur erfolgreich wären? Wir würden immer alles richtig machen, d.h. alles was wir tun würde zu den von uns erwarteten Ergebnissen führen. Wer immer auf dem gleichen Gleis fährt, kommt auch immer nur am gleichen Ziel an. Scheitern zerstört diese Erwartungen. Das Gleis ist unterbrochen, wir können auf dem geplanten Weg nicht weitergehen, müssen uns neu umschauen, neu orientieren. Wir können Scheitern, so schmerzhaft die Erfahrung sich anfühlt, als Wendepunkte betrachten. Als eine Erfahrung, die uns auffordert, innezuhalten, uns neu zu orientieren und ggf. neue Wege zu beschreiten. Vielleicht waren wir unserer Zeit voraus und diese noch nicht reif für unsere Idee, vielleicht waren es unerwartete und nicht vorhersehbare Ereignisse, die uns scheitern ließen, vielleicht waren wir auch nicht die richtige Person, weil unser Herz für etwas ganz anderes schlägt. Vielleicht haben wir uns und unsere Ressourcen, Zeit, Kompetenzen, Energie oder Ressourcen überschätzt und hätten eher Hilfe und Unterstützung annehmen sollen. Es gibt viele Gründe, warum Unternehmer, Gründer, Projekteiter, … – Menschen -, scheitern. Und es gibt viele Gründe, warum sie erfolgreich sind.

Seiten derselben Medaille

Für mich sind Erfolg und Scheitern zwei Seiten derselben Medaille. Es gibt keinen Erfolg ohne Scheitern und kein Scheitern ohne Erfolg. Es gibt auch keine erfolgreichen Menschen, die nicht irgendwann in ihrem Leben gescheitert sind. Und es gibt keine gescheiterten Menschen, die nicht auch erfolgreiche Zeiten hatten. Die Frage ist, warum wir hierzu stehen können und offen über unsere Erfolge, aber besonders auch über unsere Misserfolge sprechen. In dem wir so tun, als wären wir immer nur erfolgreich, ignorieren wir eine wichtige Komponente unseres Erfolgs – dass dieser „nur“ das Ergebnis eines lebenslangen Lernprozesses ist. Und Lernen tun wir bekannterweise am besten aus Fehlern und Scheitern. So gesehen liegt in jedem Fehler, in jedem Scheitern die Chance für eine Lernerfahrung als Voraussetzung für zukünftigen Erfolg. Wieviel könnten wir alle viel schneller lernen, wenn wir zuerst zu unseren eigenen Fehlern stehen, und zweitens andere an diesen Erfahrungen teilhaben lassen würden. Wenn Innovation sich nicht nur in neuen Produkten zeigen würde, sondern in unserem Denken, handeln und lernen. Und dann ist jede der Ideen, die ich diese Woche gesehen habe ein Geschenk, weil nicht nur ich etwas über neue Ideen und alte Probleme lernen durfte, sondern alle Teilnehmer etwas für ihr Leben.

Bert Overlack ist Autor des Buches FuckUp: Das Scheitern von heute sind die Erfolge von morgen.

Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Bert Overlack, Mary Fiers, Peter de Kock, Eveline van Zeeland, Lucien Engelen, Tessie Hartjes, Jan Wouters, Katleen Gabriels und Auke Hoekstra geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, gelegentlich ergänzt durch Gast-Blogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Damit es morgen besser wird. Hier sind alle vorherigen Episoden.