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Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts, heißt ein altes Sprichwort. Diese Wahrheit trifft nicht „nur“ auf physische Krankheiten wie Krebs und dergleichen zu, sondern ebenso auf psychische Störungen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer mehr zugenommen haben.

Mittlerweile machen affektive und nicht-affektive Psychosen 6,3 % der weltweiten Krankheitslast aus und kosten allein in Europa 207 Milliarden Euro pro Jahr, davon entfallen allein auf die Behandlung von Schizophrenie rund 150 Milliarden Euro. Das macht sie zu den teuersten Hirnerkrankungen und noch teurer als Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Betroffenen dieser psychotischen Erkrankungen sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsenen zwischen 15 und 35 Jahren.

Bei mehr als 75% Patienten kündigt sich die Erkrankung durch Frühsymptome wie Konzentrationsstörungen, Leistungsknicks, Ängsten und Stimmungsschwankungen an. Diese Symptome werden in den meisten Fällen aber nicht erkannt, nicht richtig interpretiert oder nicht ernst genommen, obwohl die Psychose durch gezieltes therapeutisches Handeln dieser Frühphase verhindert oder zumindest der Erkrankungsverlauf deutlich abgemildert werden könnte.

Beim überwiegenden Teil der Betroffenen liegen Jahre zwischen dem Auftreten erster Krankheitszeichen einer professionellen psychotherapeutischen oder psychiatrischen Behandlung. Früherkennung, Vorsorge und eine rechtzeitige therapeutische Intervention könnten also nicht nur den Patienten und ihren Angehörigen viel Leid ersparen – die Betroffenen haben eine 8- bis 20-fach höhere Selbstmordrate – sondern auch die volkswirtschaftlichen Schäden entscheidend verringern.

Prädikation und Prävention durch PRONIA?

Bisher gibt es in der Psychiatrie keine Prädiktionsmodelle, um das Risiko für beeinträchtigende Erkrankungsverläufe affektiver und psychotischer Störungen möglichst früh vorhersagen und somit präventiv behandeln zu können. Das vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität koordinierte PRONIA-Projekt (Personalised Prognostic Tools for Early Psychosis Management) hat sich zum Ziel gesetzt, solche Prognosemodelle zu entwickeln.

Die Arbeit greift dabei auf die klinischen Daten und Bildgebungsdaten von 236 Patienten mit Hochrisiko-Stadien psychotischer Erkrankungen oder mit Ersterkrankungen depressiver Störungen zurück. Die Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Nikolaos Koutsouleris, Leiter der Sektion Neurodiagnostische Verfahren in der Psychiatrie des LMU-Klinikums, konnten zeigen, dass prognostische Algorithmen eine genaue Einzelfall-Vorhersage von sozialen Funktionseinbußen ermöglichen (z.B. Schwierigkeiten Freundschaften zu pflegen oder eine Partnerschaft aufrechtzuerhalten). Die Vorhersage funktionierte unabhängig vom Herkunftsland, Alter (15-40 Jahre) und Geschlecht der Patienten mit einer Genauigkeit von bis zu 83% bei Hochrisiko-Patienten und 70% bei Patienten mit depressiver Ersterkrankung.

„Zuverlässige und zugängliche Prognoseinstrumente werden diese Belastung durch eine individuelle Risikovorhersage verringern und so die Durchführung einer auf die Bedürfnisse und das Risikoniveau des einzelnen Patienten zugeschnittenen Vorbeugung erleichtern“, heißt es bei PRONIA. „Daher werden wir routinemäßige Hirnbildgebung und ergänzende Daten verwenden, um unsere Biomarker-Kandidaten für die Vorhersage und Inszenierung von Psychosen zu optimieren und ein prognostisches System zu generieren, das sich gut für verschiedene psychiatrische Dienste eignet.“

„Zweitens werden wir neue multimodale Instrumente zur Risikoquantifizierung einführen, um psychisch bedingte Behinderungen bei jungen Hilfesuchenden vorherzusagen. Die Fusion dieser Instrumente mit klinischem Wissen wird zu kybernetischen prognostischen Diensten führen, die Hilfesuchende mit dem höchsten Risiko für Psychose, schlechte Funktionsfähigkeit und selbstmörderische Sterblichkeit genau identifizieren.“

„Die Ergebnisse unserer Arbeit zeigen, dass es möglich ist, das Risiko für bleibende soziale und berufliche Funktionseinbußen auf der Ebene eines einzelnen Patienten feststellen zu können“, sagt der Projektleiter Prof. Koutsouleris. „Wenn sich das im klinischen Alltag bewahrheitet, wird eine personalisierte und rationale Therapieplanung in der psychiatrischen Therapie ermöglicht: Patienten mit hohem Risiko könnten intensiver behandelt werden, um das Risiko zu minimieren. Gleichzeitig würden Patienten mit geringem Risiko nicht ‚über-therapiert‛ und unnötigen Behandlungsrisiken ausgesetzt werden. Auf der Ebene der Gesundheitsökonomie würde dies wiederum bedeuten, dass mit den gleichen therapeutischen Ressourcen wesentlich mehr Patienten präventiv behandelt werden könnten als dies bisher der Fall ist.“

Die nächsten Schritte hin zu einer klinischen Anwendung sind groß angelegte Validierungsuntersuchungen, in denen die von PRONIA entwickelten prädiktiven Modelle in der klinischen Praxis erprobt werden sollen. Hierbei wird sich zeigen, ob quantitative Modelle effektiv schlechte Erkrankungsverläufe psychotischer und affektiver Störungen verhindern können.

Was ist PRONIA

PRONIA – Personalised Prognostic Tools for Early Psychosis Management – ist ein von der Europäischen Union gefördertes Forschungsprojekt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Früherkennung von psychotischen Erkrankungen erheblich zu verbessern. Dabei steht die Entwicklung eines leicht zugänglichen prognostischen Services für die Früherkennung im Mittelpunkt. Das dafür erstellte Prognosesystem basiert auf der Erkennung von Biomarkern mithilfe von bildgebenden Verfahren und weiteren Datenerhebungen. Dieses Prognoseservice soll auch kommerziell verwertet werden. Durch eine sogenannte telemedizinische Anwendung, die über das Internet für verschiedene Zielgruppen erreichbar sein wird, kann ein Risikoprofil für Betroffene erstellt werden. Dieses Service richtet sich an Vertreter des Gesundheitswesens, Vertreter der Pharmaindustrie sowie Forschungseinrichtungen.

Das Projekt ist in 12 Arbeitspakete unterteilt, die den undefinierten Arbeitsplan und den Forschungsschwerpunkt von PRONIA widerspiegeln. Das undefinierte PRONIA-Konsortium besteht aus 12 Partnern, Spezialisten aus Wissenschaft und Wirtschaft in Bereichen Psychiatrie, Neuroscience, Kognitionsforschung, Ingenieurwissenschaften und Informationstechnologie. Die wissenschaftliche Koordination liegt bei Prof. Dr. Nikolaos Koutsouleris.

Foto: Quintin Gellar von Pexels

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