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Wissenschaftler des Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München haben eine neue Kombinationstherapie gegen Übergewicht und Diabetes entwickelt, die den Appetit zügelt und gleichzeitig den Energieverbrauch erhöht.

„Übergewicht ist der größte Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen”, sagt Prof. Dr. Dr. h.c. Matthias H. Tschöp, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München und Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselerkrankungen an der TUM. Zuvor war er Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas (IDO) am Zentrum. „Durch eine Diät alleine ist das zunehmende Adipositas-Problem leider nicht in den Griff zu bekommen, weshalb medikamentöse Therapieansätze unerlässlich sind”, ergänzt Tschöp.

Zusammen mit Dr. Timo Müller (kommissarischer Direktor des IDO), Dr. Christoffer Clemmensen (früher IDO) und Sigrid Jall (Doktorandin am IDO) ist es Tschöp gelungen, mit einer neuen Kombinationstherapie überschüssige Fettpolster schmelzen zu lassen, indem gleichzeitig der Appetit gezügelt und der Energieumsatz erhöht wird.

Die Basis der Therapie ist die medikamentöse Simulation von Kälte. Menschen – wie auch Säugetiere – haben spezielle, sogenannte braune, Fettzellen, die darauf spezialisiert sind, Energie in Wärme umzuwandeln. Dabei werden spezielle Kälterezeptoren (Trpm8-Kanäle) aktiviert, die das Kältesignal an das braune Fettgewebe weitergeben mit dem Ziel den Energiestoffwechsel zu erhöhen.

Kälte ohne Kälte

„In vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass das braune Fett in erwachsenen Menschen eine größere Rolle spielt als bisher angenommen“, sagt Dr. Müller. „Aus der Literatur geht hervor, dass Kälte die Menge an braunem Fett erhöht; zum Beispiel, wenn Menschen im Winter ins Freie gehen. Dieser Effekt bleibt jedoch aus, wenn man das sympathische Nervensystem mit sogenannten Beta-adrenergen Agonisten stimuliert. Kälte bewirkt also einen Effekt, der nicht einfach pharmakologisch simuliert werden kann.”

Um nun zu vermeiden, alle Abnehmwilligen oder zum Abnehmen Verdammten in Kältekammern zu stecken oder im Winter stundenlang in Eis und Schnee zu schicken, haben die Wissenschaftler ein Mittel entwickelt, welches Kälte medikamentös nachahmt. Eine Komponente der neuen Wirkstoffkombination, das Molekül Icilin (vom englischen Wort „ice“ abgeleitet), zielt darauf ab, genau diesen Effekt hervorzurufen.

„Das Ziel unserer Studien war es, den Effekt von Kälte medikamentös zu simulieren, und das ohne die Notwendigkeit uns in eine kalte Umgebung zu begeben. Durch die Aktivierung des Trpm8 Kanals mittels Icilin wird das braune Fettgewebe aktiviert mit der Folge, dass der Energieumsatz steigt und weiße Fettpolster schmelzen“, erklärt Müller. „Icilin wirkt ähnlich wie Menthol, beide aktivieren den Trpm8 Kanal und erhöhen so unseren Energiestoffwechsel. Auch Menthol hat bekannetweise eine kühlende Wirkung. Icilin aktiviert den Trpm8 Kanal jedoch deutlich stärker als Menthol“, ergänzt Müller

In adipösen Mäusen führte die medikamentöse Aktivierung von Trpm8 zu einer Aktivierung des braunen Fettgewebes; der Energieumsatz stieg und das Körpergewicht verringerte sich.

Kampf dem Hungergefühl

Da aber der Gewichtsverlust durch Gabe von Icilin begrenzt ist, wurde Icilin mit einem weiteren Wirkstoff kombiniert. Hier wählten die Wissenschaftler Dimethylphenylpiperazin (DMPP). Dieses wirkt ähnlich wie Nikotin und senkt den Appetit durch Aktivierung sogenannter nikotinerger Acetylcholinrezeptoren (nAChR). Der Vorteil von DMPP gegenüber Nikotin ist allerdings, dass DMPP im Gegensatz zu Nikotin nicht giftig ist.

„Das DMPP aktiviert im Hypothalamus im Gehirn bestimmte Rezeptoren, was zu einem gesteigerten Sättigungsgefühl führt“, so Müller. „Das bedeutet, wir kombinieren zwei Moleküle, die beide das Gewicht reduzieren. Das eine Molekül senkt das Körpergewicht durch Erhöhung des Energieumsatzes, das andere Molekül verbessert unseren Glukosestoffwechsel und führt zu einem Gewichtsverlust durch eine appetitzügelnde Wirkung.“ Bei den adipösen Mäusen führte DMPP nicht nur zu einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung des Zuckerstoffwechsels.

1+1=5

Bei ihren Experimenten fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Kombination von Icilin und DMPP das Körpergewicht weitaus stärker reduzierte und den Zuckerstoffwechsel verbesserte, als wenn die Effekte der Einzelbehandlung von Icilin und DMPP einfach aufaddiert würden. So führte die alleinige Behandlung mit Icilin oder DMPP nur zu geringen Effekten auf das Körpergewicht.

„Wenn man diese beiden Stoffe kombiniert, ergibt sich ein sogenannter synergistischer Effekt, was bedeutet, die Wirkung der Kombination ist besser als die Summe der Einzelteile. In der Mathematik würde man sagen 1+1=5“, beschreibt Müller das Ergebnis der Experimente. „Das heißt also nicht 1+1=2, das wäre additiv, es ist aber so, dass diese Kombination aus bislang unbekanntem Grund deutlich besser wirkt als man aus der Summe der Effekte der Einzeltherapieren erwarten würde.“

Den Grund für diesen synergistischen Effekt kennen die Forscher bisher noch nicht und versuchen nun, ihn in weiteren Experimenten herauszufinden. „Die Ergebnisse dieser Studien können wichtige neue Erkenntnisse liefern, wie Moleküle sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, was maßgeblich die Entwicklung zukünftiger Therapien verbessern könnte”, betont Prof. Matthias Tschöp.

Getestet wurde das Verfahren bisher nur an Mäusen. Es gibt aber momentan eine Zusammenarbeit mit einer großen Pharmafirma, um es weiter zu entwickeln. Wann es marktreif sein ist jedoch nicht absehbar, so Dr. Müller.

Weitere Forschungen nötig

Dr. Müller: „Es muss nun zunächst geprüft werden , ob diese Wirkstoffkombination nicht auch unerwünschte Effekte auf den Stoffwechsel hat. Zudem müssen die Wirkstoffe ggfs. Biochemisch weiter optimiert werden. Es gillt nun zu untersuchen, was die Nebenwirkungen und Langzeiteffekte der Wirkstoffkombination sind. Solche Untersuchungen sind sehr zeitinzensiv, weshalb nicht absehbar ist, wie lange es dauert solche eine neue Wirkstoffkombination zur Marktreife zu führen.“
Idealerweise versucht man, ein Medikament herzustellen, welches bei einer geringen Dosis eine möglichst hohe Wirkung hat und dies ohne nennenswerte Nebenwirkungen.

Ein Nebeneffekt vieler Diätmittel ist, dass sie nicht nur den Stoffwechsel sondern auch den Blutdruck erhöhen, wobei Bluthochdruck bei übergewichtigen und adipösen Menschen im Allgemeinen sowieso ein Problem ist. Ob eine Erhöhung des Blutdrucks bei der neuen Wirkstoffkombination der Fall ist, muss noch untersucht werden.

„Der Blutdruck steigt beispielsweise durch die Aktivierung von Beta-Rezeptoren im Herzen. Auch Wirkstoffe welche den Energiestoffwechsel erhöhen könnten auf diese Rezeptoren einen Einfluss haben, etwa durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems“, so Müller. Ob die neu entwickelte Wirkstoffkombination einen Einfluss auf den Blutdruck hat, gilt es nun herauszufinden.

Icilin wurde bereits in einigen Studien an Menschen getestet und hat sich als verträglich herausgestellt. „ Personen, welche Icilin genommen haben, berichten über ein angenehmes Gefühl von Kälte. Außerdem hat eine entzündungshemmende Wirkung“, sagt Müller abschließend.

Bilder: Pixabay

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