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Sanjay També ist IT-Fachmann aus Indien. Er ließ sich nach einem Elektrotechnik-Studium in Bangalore und einem Umzug in die USA in den Neunzigerjahren nach München locken und hängte hier ein Aufbaustudium Wirtschaftsinformatik an. Mittlerweile ist També seit zwanzig Jahren in Deutschland. Er kennt die Situation der ausländischen IT-Fachleute auf dem deutschen Arbeitsmarkt und hält auch mit Kritik an Teilen seiner Landsleute nicht zurück.

Sie haben vergangenes Jahr in einem Interview gesagt, Sie fühlten sich in Deutschland nicht willkommen, als sie ankamen. Hat sich das mittlerweile geändert?

„Ich habe nie schlechte Erfahrungen mit Menschen oder Firmen in Deutschland gemacht, nur die Gesetzgebung war nicht gut und daran hat sich auch bis heute nicht viel geändert. Ich weiß nicht, ob der Bedarf an IT-Fachleuten damals so groß war, aber heute ist er ein Thema. Die Menschen in den Mint-Fächern werden immer weniger und es müssen Menschen aus anderen Ländern kommen, aber die Basis dafür wird immer noch nicht geschaffen.“

Inwiefern immer noch nicht geschaffen? Die Blue Card sollte bürokratische Hürden doch beseitigen…

„Ich kam schon vor der Blue Card, habe sie aber später als einer der Ersten bekommen. Ich habe den Eindruck, das wird nach Bedarf ausgelegt. Jetzt versucht man, mehr Menschen aus einem Land wie Indien anzuziehen, indem sie auch zum Studieren hierherkommen. Indien ist aber ein Land, das sehr familiär gesteuert ist. Angenommen nun, ich bin ein IT-Fachmann und komme nach Deutschland und bekomme auch das Visum, wenn die Bedingungen von meiner Seite erfüllt sind, die Familie wird aber nicht miteinbezogen. Als IT-Fachmann werde ich sozusagen hochgelobt, indem mein Studium anerkannt wird, aber das meiner Frau, zum Beispiel als Architektin, wird nicht anerkannt. Im Grunde muss man für alles neu studieren, außer IT. Das ist nicht vorteilhaft, da das für die meisten Leute sehr schwer ist. Man sieht deshalb auch wieder eine Abwanderung. In den Kreisen, in denen ich mich bewege, in denen viele indische IT-Fachleute sind, wandern viele nach einigen Jahren wieder woanders hin, wie Amerika oder England. Oder zurück nach Indien weil sie genau mit diesem Thema in Deutschland nicht zurechtkommen.“

Das heißt, genau dieses Problem mit der Familie ist es, was sie dazu bringt, Deutschland wieder zu verlassen und dahin zu gehen, wo auch ihre Familien besser leben können?

„Ja. In meinem Fall war es so, dass meine Frau als Ärztin ihr komplettes Medizinstudium wiederholen musste. Es wurde noch nicht einmal die Vorprüfung anerkannt. Das ist nicht leicht für jemand, der in Indien bereits praktiziert hat und hier nichts ist. Das ist ein echtes Thema, das berücksichtigt aber keiner. Die Unternehmen versuchen, das ein bisschen zu unterstützen, indem sie sagen, wenn Sie eine Frau haben, die im IT-Bereich ist, kann sie einen Kurs machen in Java oder einer Programmiersprache, dann würden wir sie auch übernehmen; zu einem anderen Gehalt und auf einer anderen Ebene, auch halbtags, und das Kind kann in den Kindergarten gehen. Das machen aber nur große Unternehmen wie Siemens oder IBM und dergleichen. Kleine und mittelständische Unternehmen können es sich nicht leisten, Mann und Frau einzustellen. Wenn die Frau vielleicht etwas ganz anderes studiert hat, ist sie zwangsweise eine Hausfrau, auch wenn sie vielleicht nicht hier sein sein möchte und ihre berufliche Karriere weiterverfolgen möchte. Das kann sie aber nicht und das führt auf Dauer natürlich zu Spannungen in der Familie. Daran hat man keinen Gedanken verschwendet und es gab von behördlicher Seite massiven Widerstand. Heute ist es für die IT-Fachkräfte leichter geworden. Man kann für ein Jahr ein Arbeitssuchervisum beantragen, das auch um ein Jahr verlängert werden kann und kann mit der Familie nach Deutschland kommen und sich erst einmal umschauen. Dann kann man entweder zurückgehen oder, wenn man einen Job gefunden hat, wird das Visum geändert. Da wurden schon neue Möglichkeiten geschaffen, die scheinen aber sehr industriespezifisch zu sein, da es in der IT-Branche einen Fachkräftemangel gibt. Alle anderen sind aber durch das Raster gefallen. Dadurch hat man in der IT-Branche sozusagen bewegliches Personal, das dann vielleicht anfängt, woanders hinzugehen, wo die Frau sich auch wohler fühlt, wo es passende Schulen für ihre Kinder gibt. Ich würde sagen, es gibt viele Inder, die hierherkommen aber auch sehr viele, die wieder zurück oder woanders hingehen, da das schon ein ausschlaggebender Faktor ist.“

Heißt das, dass viele Ihrer Landsleute hier in Deutschland sehr schnell desillusioniert werden?

„Wenn sie zum Studieren kommen ist es etwas anderes, aber wenn sie als IT-Fachleute mit Familie kommen, sind sie zwar nicht unzufrieden, denn man kann auch viel lernen und verdient mehr Geld als in Indien, aber familiär sind sie nicht glücklich. Das nicht einfach. Die Frau kommt erst mal mit einem sogenannten Dependent-Visum mit, das Abhängigkeit bedeutet. Nach zwei Jahren wird das in ein Bleiberecht umgewandelt, aber ihre Qualifikationen fallen unter den Tisch. Besonders wenn die Frau zum Beispiel gleichwertige Studien wie Medizin oder Architektur abgeschlossen hat, die in Indien auch hoch angesehen werden, dann hat sie eben Pech, denn das wird hier nicht gebraucht. Darum gibt es dann auch eine ganze Latte an Gründen, wieso das nicht als gleichwertig anerkannt wird. Ich verstehe diese Ungleichheit nicht. Wieso kann ein Informatikstudium in Indien besser sein als ein Medizinstudium? Dafür gibt es keine Grundlage.“

Werden die Qualifikationen von IT-Fachleuten aus dem Ausland, in diesem Fall Indien, überprüft, oder gibt es gleich Arbeitsverträge ohne Vorstellungsgespräch?

„Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren im IT-Bereich und merke, IT-Qualifikation aus Indien ist nicht gleich IT-Qualifikation. Abhängig davon, von welcher Universität die Leute kommen, gibt es Unterschiede wie Tag und Nacht. Je nachdem, wo man studiert hat, wie man dazugekommen ist, welche Note man hat, sind das sehr differenzierte Ergebnisse, was die Qualifikation anbelangt. Aber es gibt keinen Eignungstest. Wenn also jemand ein Informatikstudium aus Indien vorlegen kann, egal von wo und vielleicht einen manipulierten Lebenslauf vorlegt, dann habe ich diesen Menschen hier und muss ihm alles mögliche beibringen. Das kostet das Unternehmen Geld. Viele beißen da aber die Zähne zusammen, weil sie die Kosten getragen haben und versuchen es. Manche werden aber nicht glücklich dabei und dann wird diese Person sozusagen wieder auf den Markt geworfen und derjenige sucht dann hier wieder Arbeit. Es gibt mittlerweile eine ganze Menge arbeitslose IT-Fachkräfte aus dem Ausland. In meinem Xing-Netzwerk von von fast 4.000 Leuten in Deutschland suchen rund 20 Prozent nach Jobs, weil sie aus ihren Jobs aus irgendwelchen Gründen ausgeschieden sind. Da gibt es auf der einen Seite einen hohen Bedarf, diese Personen können offenbar aber nicht beschäftigt und es werden stattdessen wieder neue geholt.“

Was passiert mit den arbeitslosen ausländischen IT-Fachleuten?

„Nach vier oder fünf Jahren bekommen Menschen aus Drittländern wie Indien eine Niederlassungserlaubnis. Sie dürfen mit der Blue Card dann, wie ein deutscher Arbeitnehmer, auch den Job verlassen, können Arbeitslosengeld beantragen, eine Firma gründen. Das Problem dabei ist nur, dass diese Menschen nicht einmal richtig Deutsch gelernt haben. Sie haben nur das Zeugnis irgendwo herbeigezaubert, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dann sind sie natürlich aufgeschmissen, wenn sie erst anfangen müssen, es zu lernen und solche Sachen werden schlichtweg ignoriert.“

Haben Sie es jemals bereut, von den USA nach München gezogen zu sein?

„Nein, nie. Manchmal dachte ich allerdings schon, wäre ich doch in den USA geblieben, denn dort gibt es die Möglichkeit, dass der Sozialbeitrag, den man anspart, in meinem Sinne investiert wird, sodass er im Laufe der Zeit bis zur Rente mitwächst. Hier ist das nicht der Fall und ich bekomme nur einen bestimmten Betrag zurück. Das ist schade, da ich meine Finanzplanung nicht nach meinen Wünschen gestalten kann, sondern von den Rentengesellschaften abhängig bin. Es ist auch schade, da der Eine oder Andere das vielleicht besser machen würde und unabhängig von den Gesellschaften wäre. Natürlich kann man da auch Fehlentscheidungen treffen, aber hier wird einem diese Möglichkeit zur Entscheidung gar nicht gegeben und man kann gar nichts machen, obwohl das dein eigener Anteil ist. Man muss einfach zuschauen, wie das Geld vernichtet oder aufgebaut wird, aber man bekommt ja Jahr für Jahr gesagt, dass es immer weniger wird.“

Würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung Ihren Landsleuten raten, nach Deutschland, nach München zu kommen?

„Nein, auf keinen Fall. Mittlerweile gibt es auch in Indien sehr gute Möglichkeiten und auch dank des Internets und der ganzen Umstände dort, hat man da jetzt genauso gute oder sogar bessere Möglichkeiten als hier. Die Chancen sind dort genauso gewachsen, auch sehr interessante Chancen. Es gibt interessante Firmen und Projekte und es ist ein Wachstum zu sehen. Das ist auch einer der Gründe, wieso viele zurückgehen. Weil sie die Chancen dort besser wahrnehmen können und gerade im Umfeld IT ist die Attraktivität von Deutschland gesunken. In anderen Bereichen, zum Beispiel medizinischer Versorgung und Aufbau einer Infrastruktur, wäre es notwendig, dass man von Deutschland lernt.”

Was müsste Deutschland also konkret tun, um wieder attraktiver zu werden?

„Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Man müsste erst mal die familiären Situationen berücksichtigen, nicht nur einen Teil der Berufe anerkennen und andere nicht. Außerdem müsste man den Menschen eine Art Mitsprachrecht geben. Sie befragen, was sie hier anders gestalten würden. Wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, es sagen zu können, es ihnen ermöglichen würde, einen Beitrag zu leisten, dann bekäme man ein sehr großes Feedback. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Menschen, der das Land wieder verlässt und dem, der hierherkommt und Erfahrung sammelt.”