Phytoplankton ©Rick Cavicchioli
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Sie tun Gutes – und doch sind sie weit mehr für Ihre negativen Auswirkungen bekannt: Mikroben. Kaum wird den Menschen bewusst, dass sie vielleicht irgendwo vorhanden sein könnten, breitet sich eine übertriebene Vorsicht aus. Doch sollten wir besser die winzig kleinen Einzeller viel öfter mal ihre Arbeit machen lassen, als wir uns vorstellen können. Schließlich haben sie unser Leben auf der Erde überhaupt erst möglich gemacht. Denn die gesamte Evolution des Lebens geht auf Mikroorganismen zurück. Seit über 3,8 Milliarden Jahren prägen sie die Erde. Und schließlich waren es sie, die die Lebensgrundlage für vielzellige Lebewesen und letztendlich auch den Menschen geschaffen haben.

Und genau dieser ist jetzt dabei, unseren Lebensraum wieder zu zerstören. Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie beschreibt die aktuelle Situation:

Ein günstiges, stabiles Klima über 12.000 Jahre und Technologien, die auf vergleichsweise billig verfügbaren, natürlichen Energieressourcen wie Holz, Kohle, Öl und Gas basieren, haben es der menschlichen Bevölkerung ermöglicht, exponentiell zu wachsen. Erste Erkenntnisse zur Wechselwirkung des Klimas mit Mikroorganismen in Böden und im Wasser zeigen, dass die Rückkopplungseffekte nicht zu unseren Gunsten ausgehen. Wenn es wärmer wird, produzieren die Mikroben mehr CO2. Das Ausmaß der Klima- und Umweltschäden sowie Artenverluste insgesamt macht es dringlich, unseren Pfad zu ändern.”

Prof. Dr. Antje Boetius © Jan Riephoff

Mikroorganismen könnten Teil der Lösung sein

Boetius sieht zudem mehrere Rückkopplungseffekte, die die Umweltbelastung noch zusätzlich beschleunigen. So steige die Produktion mikrobieller Treibhausgase mit zunehmender Landwirtschaft und Tierhaltung. Auch scheine in einigen Ozeanregionen die biologische Pumpe schwächer zu werden. Zudem könnten sich Krankheiten über breitere Klimazonen ausbreiten. Gleichzeitig betont Boetius in ihrem, die Studie begleitenden, Kommentar, der schon im Mai in Bezug auf den aktuellen Aufruf im „Nature Reviews Microbiology“ erschien, dass Mikroorganismen auch ein Teil der Lösung zum einen bei der Suche nach nachhaltigen Energien sowie der Sanierung von Lebensräumen aber auch in Bezug auf die Gesundheit unseres Planeten und schließlich von uns Menschen sein könnten.

Entsprechend ist Prof. Dr. Antje Boetius ist überzeugt:

Da Mikroorganismen eine große Auswirkung auf die Stoffkreisläufe, Produktivität und Gesundheit unseres Planeten wie auch auf uns Menschen haben, wird dieses Forschungsfeld wesentliche Kenntnisse für die Zukunft der Erde liefern.“

Rolle der Mikroorgansimen verstehen

Und genau deshalb ruft jetzt ein internationales Komitee von mehr als 30 führenden Mikrobiologen alle Forschenden dazu auf, bei ihren Studien über den Klimawandel in den verschiedensten Disziplinen sowie auch bei technischen Maßnahmen den Einfluss der Mikroben zu berücksichtigen. Und sie gehen noch weiter: Sie fordern zudem, das Thema Mikroorganismen auch in Schullehrpläne einzubinden, um hier ein besseres Verständnis für die fleißigen kleinen Lebewesen zu erzielen.

Denn wie schon erwähnt sind Mikroorganismen unverzichtbar für die Existenz aller höheren Lebewesen – einschließlich uns Menschen. Dennoch kommen sie in den aktuellen Debatten über den menschgemachten Klimawandel kaum vor.

Um zu verstehen, wie der Klimawandel funktioniert und was er für uns bedeutet, müssen wir die Rolle der Mikroorganismen aber mitbetrachten, betonen die Forscherinnen und Forscher. Das beinhaltet einerseits, wie Mikroben den Klimawandel beeinflussen und andererseits, wie auch dieser die Mikroben beeinflusst.

Der Aufruf erscheint nun in der Zeitschrift „Nature Reviews Microbiology“ unter der Federführung von Professor Rick Cavicchioli von der Universität von New South Wales in Sydney, Australien.

„Mikroorganismen, darunter Bakterien und Viren, sind wichtig für alle höheren Lebensformen und von entscheidender Bedeutung für die Regulierung des Klimawandels”, so Cavicchioli. “Dennoch stehen sie selten im Mittelpunkt von Untersuchungen zum Klimawandel und werden von Entscheidungsträgern nicht berücksichtigt.”

Deutsche Beteilung

Aus Deutschland sind neben Professorin Boetius auch Prof. Dr. Emeritus Kenneth Timmis von der Technischen Universität Braunschweig an dem Appell beteiligt. Der Mikrobiologe betont die Auswirkungen des Klimawandels auf Infektionskrankheiten – sowohl in Bezug auf die geografische Reichweite der Krankheitserreger als auch auf ihre Insektenvektoren. „Dies ist der Grund für die fortschreitende Migration einiger Infektionskrankheiten wie Malaria und der Lyme-Krankheit in Breiten, wo sie bisher nicht endemisch waren.“

Prof. Dr. Kenneth Nigel Timmis @private archive

Verursacht werde der Klimawandel durch einen Anstieg der Treibhausgase. Mikroben produzieren diese einerseits – zum Beispiel im Pansen von Nutztieren und auf Reisfeldern – und nehmen andererseits Treibhausgase auf.

Mikroben spielen eine zentrale Rolle beim Klimawandel. Bisher konzentrierten sich die Diskussionen auf anthropogene [von Menschen verursachte], Quellen von Treibhausgasen. In unserem Aufruf betonen wir die dringende Notwendigkeit, mikrobielle Aktivitäten bei der Diskussion und politischen Entwicklung im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung und der Prüfung von Optionen zur Minderung der Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen“, erklärt Professor Timmis.

Boetius ergänzt: „Wir wissen, dass mikrobielle Prozesse die Erderwärmung verstärken können. Nun müssen wir dringend herausfinden, inwieweit Mikroorganismen auch Teil der Lösung unseres Problems sein können, beispielsweise im Bereich der Medizin, der nachhaltigen Energien oder der Sanierung zerstörter Lebensräume.“

Warnung an die Menschheit

Die Wissenschaftler bezeichnen ihren Aufruf als eine Warnung an die Menschheit vom Blickpunkt der Mikrobiologie aus: Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge helfe auch, Maßnahmen und Entscheidungen nachhaltiger und zielgenauer zu gestalten. Der Aufruf beinhaltet zudem die Aufforderung, Mikrobiologie in den Lehrplänen stärker zu verankern. Forschende sind eingeladen, sich dem Appell der Mikrobiologen anzuschließen.

Der aktuellen Initiative vorausgegangen war ein Aufruf von Kenneth Timmis und zahlreicher weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den Mikrobiologieunterricht an Schulen zu verbessern. Im nächsten Schritt sollen Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte entstehen, die dann auf der Website der Society for Applied Microbiology frei verfügbar sein werden.