© Fraunhofer IOSB-AST/ Martin Käßler
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Die Energiewende – weg von fossilen Brennstoffen und hin zu erneuerbaren Energien – schreitet in Deutschland immer weiter fort. Nun liegt der Fokus darauf, den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das Verbundprojekt ZO.RRO (Zero Carbon Cross Energy System) möchte eine komplett CO2-freie Energieversorgung des Freistaats Thüringen erreichen. Hierfür betrachten die Projektpartner Strom-, Wärme- und Gasnetze. Unter Experten heißt das „Sektorenkopplung“.

Das Novum an diesem Projekt ist, dass bisherige Vorhaben in erster Linie die Bereitstellung von Energie im Auge hatten, während die Wechselwirkungen mit den Systemdienstleistungen nicht berücksichtigt wurden. Wissenschaftlichen Analysen zeigen jedoch, dass 20 Prozent des CO2-Ausstoßes durch Systemdienstleistungen verursacht werden, die nötig sind, um Energiesysteme stabil zu betreiben und, dass sie auch nach Störungen wieder sicher betrieben werden können.

Optimaler Mix für Thüringen

Die Forscher am Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST des Fraunhofer IOSB entwickeln für Thüringen ein komplexes IT-Ökosystem aus Hard- und Softwarelösungen. Außerdem stellen sie im ersten Schritt den optimalen Technologiemix für Thüringen zusammen, damit die Systemdienstleistungen unter Ausnutzung der Sektorenkopplung von Wärme, Gas und Strom CO2-frei gestaltet werden können. Zugrunde liegt ein innovatives Szenario, „das durch Erneuerbare Energien-Anlagen und Speicher- und Wasserstofftechnologien geprägt ist, sowie ein konservatives Szenario, das Power-to-Gas und Gaskraftwerke in die Berechnung einbezieht“.

„Unser Ziel ist es, die Thüringer Energieversorgung bis 2050 CO2-neutral zu gestalten und dafür die kostenoptimale Variante zu ermitteln“, erläutert Steffi Naumann, Wissenschaftlerin und Projektleiterin am Fraunhofer IOSB-AST. „Wenn der berechnete sektorenübergreifende Technologiemix für den stabilen Netzbetrieb ausreicht, wird die dabei freigesetzte CO2-Emission bestimmt. Ist kein stabiler Betrieb möglich, erfolgt eine Rückkopplung zur Energiesystemplanung.“ Dieses Optimierungsmodell zeige die Technologien an, „die idealerweise in einem künftigen Technologiepark in Thüringen installiert werden sollen, unter der Voraussetzung, möglichst wenig Treibhausgase zu emittieren“.

IT-Ökosystem für die Nullemission

Das Forscherteam am Fraunhofer IOSB-AST IT-Systeme konzentriert sich in erster Linie auf die Überwachung der aktuellen CO2-Emissionen, aber auch das Management von Flexibilitätsangeboten für den operativen Betrieb. „Will man die globale Freisetzung von Treibhausgasen minimieren, so sind IT-Systeme erforderlich, um die komplexen dynamischen Wechselwirkungen von vorrangig auf Erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgungsystemen zu beherrschen und einen sicheren und zuverlässigen Betrieb jederzeit zu gewährleisten“, sagt Juliane Sauerbrey, Kollegin von Steffi Naumann im Projekt ZO.RRO. „Mit ihnen lassen sich beispielsweise auch Prognosen für CO2-Emissionen, basierend auf der Energieeinsatzplanung des Energieversorgungssystems und der zu versorgenden Unternehmen, visualisieren.“

Die Forscherin und ihr Team stellen verschiedene Hard- und Software zu einem komplexen IT-Ökosystem zusammen. So liefert zum Beispiel ein Sensorsystem der ZO.RRO Box die Verbrauchswerte etwa von Strom und Gas. Dieser Verbrauch wird in das CO2-Äquivalent umgerechnet und lässt so auf die aktuellen CO2-Emissionen schließen. Zusätzlich gibt es eine Datenbank und ein CO2-Monitoring-Tool, das den aktuellen CO2-Fußabdruck an ein Supervisionssystem sendet und Optimierungspotenziale im Betrieb schneller sichtbar macht. Der Vorteil dieses Live-Monitorings ist, dass die größten CO2-Verursacher identifiziert werden können. Unternehmen würden dadurch auch finanziell profitieren, da sie ihre CO2-Ausgaben minimieren können, indem sie die ansonsten anfallenden Kosten für CO2-Zertifikate einsparen. „Das Besondere an unserem Tool ist neben dem Live-Monitoring die Berücksichtigung der Sektorenkopplung“, so Sauerbrey.

Forschung auf alle Bundesländer übertragbar

Ein weiterer Bestandteil des IT-Ökosystems ist eine Software für das Management von Flexibilitätsangeboten. Damit ließen sich nach Aussagen von Juliane Sauerbrey „vorhandene Flexibilitäten zur Verschiebung von Gas-, Wärme- und Stromlasten nutzen, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren und CO2-freie Systemdienstleistungen anbieten zu können“. Die Hard-und Softwarelösungen könnten beispielsweise in Unternehmen, Stadtwerken, Quartieren und Ministerien installiert werden.

„Natürlich profitieren auch Privathaushalte von dem neuen Energiekonzept“, betont die Forscherin. „Ein Drei-Personen-Haushalt verbraucht ca. 2600 bis 3900 KWh pro Jahr. Bei einem Emissionsfaktor von 500g/kWh des deutschen Strommixes entspricht das bis zu 1,95 Tonnen CO2 pro Jahr und je nach CO2-Preisentwicklung zwischen 80 und 350 €/Jahr allein an CO2-Kosten für Strom. Mit unserem Ansatz wollen wir den CO2-Fußabdruck drastisch verringern und damit auch die Kosten für Haushalte stark senken.“

ZO.RRO entsteht aktuell in Thüringen, die Methoden für ein kostengünstiges und klimaneutrales Energieversorgungssystem, ließen sich aber auf jedes andere Bundesland und sogar auf ganz Deutschland übertragen, betonen die Wissenschaftler. Gefördert wird ZO.RRO vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi und vom Freistaat Thüringen. Es endet im Dezember 2021. Anschließend startet die Demonstratorphase mit Unternehmen und Kooperationspartnern, die die IT-Systeme testen.

Titelbild: ZO.RRO-Projektmitarbeiterin Juliane Sauerbrey vor dem vom Fraunhofer IOSB-AST entwickelten CO2-Monitoring-Dashboard. © Fraunhofer IOSB-AST/ Martin Käßler