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UPDATE VON DER REDAKTION: Wir möchten unsere Leser hiermit darauf hinweisen, dass die im folgenden Text genannten Studien auf Wunsch der Autoren, Mandeep Mehra vom Brigham and Women’s Hospital, Frank Ruschitzka vom Universitätsspital Zürich und Amit Patel von der University of Utah, mittlerweile zurückgezogen wurden. Die Fachpublikation Lancet hat Mehras Studie über Covid-19 und eine mögliche Behandlung der Krankheit mit Chloroquin und Hydroxychloroquin zurückgezogen. Das New England Journal of Medicine hat die hier genannte Studie über eine mögliche positive Wirkung von Blutdrucksenkern bei der Behandlung von Covid-19 ebenfalls zurückgezogen. Der Grund war in beiden Fällen, dass die Forscher nicht selbst an der Erhebung der zugrunde liegenden Daten beteiligt waren und für deren Richtigkeit nicht garantieren können, nachdem Zweifel aufgekommen waren.

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 wird mittlerweile für knapp 375,000 Todesfälle weltweit verantwortlich gemacht, mehr als sechs Millionen Menschen haben sich offiziell infiziert. Die Dunkelziffer ist Virologen zufolge um ein Vielfaches höher. Tendenz weiter steigend. Und je länger diese Pandemie andauert, desto mehr finden die Forscher über das Virus und Covid-19, die Krankheit, die es auslöst, heraus.

Hieß es am Anfang noch, Covid-19 sei eine Lungenkrankheit, weiß man durch die Ergebnisse von Obduktionen mittlerweile, dass das Virus die verschiedensten Organe im Körper befällt. Und auch die Liste der Symptome wird gefühlt beinahe täglich länger. Husten, Fieber und Gliederschmerzen gelten zwar immer noch als „typisch“ für COVID-19, laut einer Studie der Universität Göttingen wird jedoch nur ein Bruchteil aller Infektionen erkannt. Der Grund ist, dass die Krankheit besonders bei jungen Menschen ohne Symptome zu verlaufen scheint.

Nachdem einigen Ärzte bereits im April Hautveränderungen an den Füßen ihrer Patienten aufgefallen waren, konnten Berichte aus dem Universitätsklinikum von Messina und eine Studie des Universitätsklinikums von Madrid diese Beobachtungen nun bestätigen. Eine im British Journal of Dermatology publizierte Studie zeigt, dass Hautveränderungen in erster Linie bei jüngeren Menschen „mit milden oder asymptomatischen Krankheitsverläufen“ festgestellt wurden.

Symptome eines asymptomatischen Verlaufs

Eine weitere Studie aus Italien zeigt, dass neben den sogenannten „Covid-Zehen“, einem frostbeulenartigen Ausschlag an den Zehen, auch Ausschlag an anderen Stellen des Körpers zu den Symptomen von Covid-19 zählen kann. Beispielsweise roter, juckender Hautausschlag oder Quaddeln und Pusteln wie bei Windpocken am Oberkörper, die sich aber auch auf den ganzen Körper ausbreiten können. Laut der spanischen Studie wurden bei 19 Prozent von 375 Probanden juckende Pusteln festgestellt. In Italien gehört Ausschlag sogar zu den häufigsten äußeren Symptomen.

Ein weiteres Symptom sind Blutgerinnsel, die, wie auch die Covid-Zehen und die Ausschläge von Kopf bis Fuß, erst im Laufe der Zeit als Symptome für Covid-19 erkannt wurden. Nach neuesten Erkenntnissen und, nachdem etwa 40 Prozent aller mit dem Virus in Verbindung stehenden Todesfälle auf kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle zurückzuführen sind, gehen Forscher nun davon aus, dass die Krankheit eher eine vaskuläre Infektion ist als eine respiratorische. Denn eines haben sämtliche Symptome gemeinsam: Die Blutzirkulation ist beeinträchtigt.

„All diese Covid-assoziierten Komplikationen waren ein Rätsel. Wir sehen Blutgerinnung, wir sehen Nierenschäden, wir sehen Entzündungen des Herzens, wir sehen Schlaganfall, wir sehen Enzephalitis”, wird William Li, MD, Präsident der Angiogenesis Foundation, von medium.com zitiert. „Unzählige, scheinbar zusammenhanglose Phänomene, die man normalerweise bei SARS oder H1N1 oder, offen gesagt, bei den meisten Infektionskrankheiten nicht sieht.“

Viel mehr als eine Atemwegserkrankung

Dr. Mandeep Mehra, der medizinische Direktor des Herz- und Gefäßzentrums des Brigham and Women’s Hospital, erklärt gegenüber der Publikation: „Wenn man alle Daten, die sich herauskristallisieren, zusammenzählt, stellt sich heraus, dass dieses Virus wahrscheinlich ein vaskuläres Virus ist, d.h. dass es die Blutgefäße befällt.” Laut einer von Mehra und einem Team von Wissenschaftlern durchgeführten Studie kann das SARS-CoV-2-Virus die Endothelzellen, das heißt, das Innere der Blutgefäße, infizieren. Diese Zellen schützen das Herz-Kreislauf-System, indem sie Proteine freisetzen, die von der Blutgerinnung bis zur Immunantwort alles beeinflussen. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass das Virus die Endothelzellen in Lunge, Herz, Nieren, Leber und Darm geschädigt hatte.

Eine Schädigung der Endothelzellen könnte somit für die hohe Zahl kardio-vaskulärer Schäden und plötzlicher Herzinfarkte auch bei jungen Menschen verantwortlich sein, da sie zu Entzündungen in den Blutgefäßen führt. Diese führen wiederum dazu, dass sich alle angesammelte Plaque – die normalerweise stabil geblieben oder medikamentös kontrolliert worden wäre – ablöst und einen Herzinfarkt verursacht.

„Das Konzept, das sich abzeichnet, ist, dass es sich nicht nur um eine Atemwegserkrankung handelt, sondern nur zunächst um eine Atemwegserkrankung, tatsächlich aber um eine Gefäßkrankheit, die Menschen tötet, indem sie das Gefäßsystem schädigt“, sagt Mehra. Die Mediziner gehen davon aus, dass das Virus über ACE2-Rezeptoren auf der Zelloberfläche der Atemwege in Nase und Rachen in den Körper gelangt. Von den Lungenbläschen aus wandert es in die Blutgefäße, die ebenfalls reich an ACE2-Rezeptoren sind.

„[Das Virus] dringt in die Lunge ein, zerstört das Lungengewebe, und die Menschen beginnen zu husten. Die Zerstörung des Lungengewebes reißt einige Blutgefäße auf”, erklärt Mehra. „Dann beginnt das Virus, eine Endothelzelle nach der anderen zu infizieren, erzeugt eine lokale Immunantwort und entzündet das Endothel.“

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Warum Beatmung oft nicht hilft

Bisher ist ein Atemwegsvirus, das Blutzellen infiziert und durch den Körper zirkuliert, praktisch unbekannt. Weder Influenzaviren wie H1N1 noch das ursprüngliche SARS-Virus hat sich über die Lunge verbreitet. Laut Benhur Lee, MD, Professor für Mikrobiologie an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital, liegt der Unterschied zwischen SARS und SARS-CoV-2 wahrscheinlich an einem zusätzlichen Protein, das jedes der Viren zur Aktivierung und Verbreitung benötigt. „Obwohl beide Viren über ACE2-Rezeptoren an Zellen andocken, wird ein weiteres Protein benötigt, um das Virus aufzubrechen, damit sein genetisches Material in die infizierte Zelle gelangen kann.“

Das zusätzliche Protein, das das ursprüngliche SARS-Virus benötigt, sei nur im Lungengewebe vorhanden, das Protein für die Aktivierung von SARS-CoV-2 sei aber in allen Zellen vorhanden, insbesondere in den Endothelzellen. „[SARS-CoV-2] wird durch ein Protein namens Furin gespalten, und das ist eine große Gefahr, denn Furin ist in allen unseren Zellen vorhanden, es ist allgegenwärtig.“

Schäden an Blutgefäßen könnten auch eine Erklärung dafür sein, dass Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, hohem Cholesterinspiegel, Diabetes und Herzerkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren oder sogar tödlichen Krankheitsverlauf haben. Außerdem könnten sie auch der Grund dafür sein, dass künstliche Beatmung oft nicht ausreicht, da der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut ebenso wichtig ist, um den Rest des Körpers mit Sauerstoff zu versorgen.

ACE-Hemmer und Statine als Therapie

Sollte sich tatsächlich bestätigen, dass Covid-19 eine Gefäßerkrankung ist, könnte die beste Therapie nicht eine antivirale sein, sondern eine, für die es bereits Medikamente gibt. So zeigte Mehra in einer weiteren Studie mit fast 9.000 Covid-19-Patienten, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, dass der Einsatz von Statinen und ACE-Hemmern eine höhere Überlebensrate zur Folge hatte. Statine senken das Herzinfarktrisiko, indem sie den Cholesterinspiegel senken oder Plaque verhindern und vorhandene Plaque stabilisieren.

„Es hat sich herausgestellt, dass sowohl Statine als auch ACE-Hemmer extrem protektiv auf vaskuläre Funktionsstörungen wirken”, sagt Mehra. „Der größte Teil ihres Nutzens im Kontinuum kardiovaskulärer Erkrankungen – sei es Bluthochdruck, sei es Schlaganfall, sei es Herzinfarkt, sei es Arrhythmie, sei es Herzinsuffizienz – in jedem Fall beginnt der Mechanismus, durch den sie das kardiovaskuläre System schützen, die Endothelzellen zu stabilisieren. Was wir damit sagen wollen, ist, dass die vielleicht beste antivirale Therapie nicht wirklich eine antivirale Therapie ist. Die beste Therapie könnte tatsächlich ein Medikament sein, das die vaskulären Endothelzellen stabilisiert.“