Ruthenium Konzentrat (c) TU Wien
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UPDATE: Lars Roobol von RIVM in Bilthoven wies uns darauf hin, dass der Vorfall bereits unmittelbar nach dem Vorfall bekannt war. Anfang 2018 veröffentlichte De Volkskrant diesen Artikel darüber. (Niederländisch)

Im September 2017 zog eine radioaktive Wolke über Europa. Es war die gravierendste Freisetzung von Radioaktivität seit Fukushima 2011. Bisher übernahm kein Staat die Verantwortung dafür. Jetzt wurden die Umstände in einer länderübergreifenden Studie aufgedeckt.

Die Ausdehnung der radioaktiven Wolke war enorm. Sie konnte in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas, Asiens und der Arabischen Halbinsel gemessen und konnte sogar noch in der Karibik nachgewiesen werden. In der Studie waren es über 1.300 Messwerte europaweit und darüber hinaus, die analysiert wurden. Siebzig Experten aus ganz Europa steuerten Daten und Expertise bei.

Professor Georg Steinhauser von der Universität Hannover, der die Daten ausgewertet hat, spricht von der „wahrscheinlich größten singulären Freisetzung von Radioaktivität aus einer zivilen Wiederaufbereitungsanlage“. Gemessen wurde radioaktives Ruthenium-106. Die Höchstwerte lagen bei hundertsechsundsiebzig Millibecquerel pro Kubikmeter Luft. Das ist der hundertfache Wert der Gesamtkonzentrationen, die nach Fukushima in Europa gemessen wurden. Die Halbwertszeit des radioaktiven Isotops beträgt dreihundertvierundsiebzig Tage.

Trotz der ungewöhnlich hohen Freisetzung von Ruthenium-106 sei jedoch zumindest die europäische Bevölkerung nicht in gesundheitlicher Gefahr gewesen. Die Datenanalyse ergab eine Gesamtfreisetzung von etwa zweihundertfünfzig bis vierhundert Terabecquerel.

Bestimmung der Ursache

Die Experten kamen zu dem Schluss, dass es sich nicht um einen Reaktorunfall gehandelt hatte, sondern um einen Unfall in einer Wiederaufbereitungsanlage. Entscheidend war das Indiz, dass neben Ruthenium keine anderen radioaktiven Stoffe gemessen wurden. Dazu Steinhauser:

„Wir konnten zeigen, dass der Unfall in der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennelementen passiert ist, und zwar in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Wiederaufbereitung, kurz vor dem Ende der Prozesskette. Auch wenn es derzeit noch keine offizielle Stellungnahme gibt, haben wir eine recht detaillierte Vorstellung davon, was passiert sein könnte.“

Bestimmung der Herkunft

Der exakte Ursprung der Radioaktivität ist schwer zu ermitteln. Doch die Auswertung des Konzentrationsverteilungsmusters und atmosphärischer Modellierungen legen einen Freisetzungsort im südlichen Ural nahe. Dort befindet sich die russische Nuklearanlage Majak. Es handelt sich um eine Wiederaufbereitungsanlage, in der schon im September 1957 die zweitgrößte nukleare Freisetzung der Geschichte nachgewiesen wurde – nach Tschernobyl und vor Fukushima. Damals war ein Tank mit flüssigen Abfällen aus der Plutoniumproduktion explodiert und hatte eine massive Kontamination der Region hervorgerufen.

Zeitbestimmung

Der Zeitpunkt der Freisetzung konnte auf die Zeit zwischen dem fünfundzwanzigsten September 2017 achtzehn Uhr und dem sechsundzwanzigsten September 2017 mittags eingegrenzt werden. Das berichtet Professor Steinhauser, der die Zeitanalyse gemeinsam mit Olivier Masson vom Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN) in Frankreich durchgeführt hatte. Dauerten die Freisetzungen in Fukushima und Tschernobyl tagelang an, so war es diesmal eine gepulste Freisetzung, so Steinhauser.

An der Studie waren folgende Experten beteiligt:

  • Dieter Hainz und Paul Saey vom Atominstitut der TU Wien;
  • Professor Georg Steinhauser von der Universität Hannover (Datenauswertung);
  • Olivier Masson vom Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN) in Frankreich (Datenauswertung);

Publikation:

  1. Masson et al. (2019): Airborne concentrations and chemical considerations of radioactive ruthenium from an undeclared major nuclear release in 2017. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS)

 

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