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Die Universität für Bodenkultur in Wien deckt alle Forschungsebenen der Bioökonomie ab und sieht darin ein weltweites Alleinstellungsmerkmal. Um die umfassende Forschung universitätsintern koordinieren zu können, wurde jetzt ein Zentrum für Bioökonomie geschaffen.

Der Begriff Bioökonomie bezeichnet das Streben nach einer Wirtschaftsform, in der Technologie und Ökologie in Einklang gebracht werden. Maßnahmen sind die Nutzung nachwachsender Ressourcen und die Reduktion fossiler Rohstoffimporte.

An der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU Wien) ist Bioökonomie Programm: Mehr als achtzig Prozent der Institute forschen in dem Themenbereich. Der Schwerpunkt sei traditionell gewachsen, erklärt Martin Greimel, der Leiter des Zentrums für Bioökonomie. Die Universität habe von jeher Naturwissenschaften, Technologie und Sozialwissenschaften abgedeckt. Die Ausrichtung auf Bioökonomie sei 2016 in einer Selbstevaluierung mit internationaler Expertenbeteiligung erfolgt. Auf Basis einer Stärken/Schwächen Analyse wurde daraufhin 2019 das Zentrum für Bioökonomie gegründet, so Greimel.

Die Früchte der konsequenten Ausrichtung finden auch international immer wieder Anerkennung. Ein Vorzeigeprojekt ist Carbofeed – eine Methode, mit der CO2 auf Basis einer neuartigen Hefe, zu einem Tierfutterzusatz verarbeitet werden kann. Greimel: „Damit kann CO² als Rohstoffquelle nachhaltig nutzbar gemacht werden. Die Umwelt profitiert dabei ebenfalls, da keine zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächen zur Tierfutterproduktion gebraucht werden.“

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Zuletzt war die BOKU Wien auch federführend an der Entwicklung der Österreichischen Bioökonomiestrategie beteiligt, die das Bundesministerium für Nachhaltigkeit 2018 in Auftrag gab.

Im folgenden Interview gibt Martin Greimel Einblick in die Strategie:

Die Wirtschaft von nicht nachwachsenden Rohstoffen auf nachwachsende umzustellen ist eine der wirkungsvollsten Maßnahmen gegen den Klimawandel – so das Credo der BOKU Wien. Gleichzeitig scheint das Ideal unerreichbar. Von Ihnen kommt die Aussage: „Wenn wir in Österreich alles auf nachwachsende Rohstoffe umstellen würden, bräuchten wir 50 Prozent mehr an Anbaufläche. Was genau wäre das Szenario?

Bei dieser Aussage beziehe ich mich auf die Ergebnisse des von der BOKU Wien geleiteten Projektes BioTransform.at. Bei diesem Projekt wurde analysiert ob, beziehungsweise wie, auf Basis inländischer Biomasse bis 2050 die Transformation zu einer low carbon bioeconomy in Österreich möglich wäre. In den dort vorgestellten Szenarios versuchen wir Entwicklungspfade dazustellen, wie mit der derzeitigen Fläche – und den derzeitigen Importen – eine Umstellung von fossilen auf erneuerbare Rohstoffe möglich wäre. Als Rückrechnung kann ermittelt werden, dass bei gleichbleibendem Konsum ein Flächenmehrbedarf von fünfzig Prozent notwendig wäre – oder ein äquivalenter Import.

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Gibt es an der Bioökonomie-Strategie so etwas wie eine österreichische Perspektive?

Fast allen Strategien gemeinsam ist die Erzeugung biobasierter Rohstoffe zu Wasser zu Land und aus Abfällen. Sowohl die Herstellung von Energie und Lebens- und Futtermitteln als auch jene von Materialien, Chemikalien und Pharmazeutika soll biobasiert erfolgen. Weiters sind auch biologische Be- und Verarbeitungsprozesse erforderlich.

Spezifisch an der Bioökonomie-Strategie Österreichs ist ein zusätzlicher Fokus auf die Beachtung des Nachhaltigkeits- und Kreislaufwirtschaftsprinzips sowie die Miteinbeziehung relevanter Dienstleistungen und sozialwissenschaftliche Aspekte.

Die Schlüsselsektoren in der Bioökonomie-Strategie Österreichs sind Land-, Forst- und Wasserwirtschaft. Welche Maßnahmen wurden für diese Sektoren entwickelt?

Durch den Klimawandel ergibt sich eine neue Herausforderung hinsichtlich der Versorgung. Laut Bioökonomie-Strategie will Österreich auf eine optimierte Pflanzenzucht der Hauptfrüchte und der Baumarten des Waldes setzen. Man erwartet sich von neuen Früchten eine nachhaltige Einnahmequelle. Weiters erwartet man sich hohes ökologisches und ökonomisches Potenzial

  •  von Aquakulturen als sinnvoller Ergänzung zu Land- und Forstwirtschaft;
  •  von neuen Anwendungsmöglichkeiten für Algenbiomasse im Lebensmittelbereich und bei Pharmazeutika;
  • von der Erschließung zusätzlicher Eiweißquellen und Sonderkulturen;

Diese Maßnahmen stehen nur teilweise im Fokus der BOKU Wien. Zum Beispiel haben wir derzeit wenige Aktivitäten im Bereich Aquakulturen.

An welche Industriezweige ist zu denken, wenn es um neue, intelligente und biobasierte Produkte in Österreich geht?

Die Zielsetzung alle Produkte und Verarbeitungs- sowie Bearbeitungsmethoden biobasiert herzustellen, betrifft sowohl bestehende Produkte, als auch innovative neue Produkte. Österreich hat traditionell eine Stärke in Zellstoff- und Faserprodukten sowie Säge- und Holzprodukten und könnte als Technologieführer innerhalb Europas positioniert werden.

Ein Beispiel für ein neues, innovatives Produkt wäre zum Beispiel das Lignin aus dem Holz. Dieses wurde bisher in den meisten Fällen zur Energiegewinnung verheizt. Die relevanten Institute an der BOKU Wien forschen an neuen ligninbasierten Produkten wie zum Beispiel Kleber, Parfüms, Pharmazeutika und Kosmetika.

Sie sprechen von einem erhöhten Bedarf an umwelt- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Welche Probleme sind vordringlich?

Die Bioökonomie hat sich in der Vergangenheit auf die Lösung technologischer Probleme konzentriert, wie etwa Rohstoffbereitstellung, Technologien zur Aufbereitung der Biomasse, etcetera. In vielen Fällen wurden bereits gute Ergebnisse gefunden – zumindest im Labormaßstab. Dabei wurden jedoch häufig umwelt- und sozialwissenschaftliche Aspekte vernachlässigt. Dies hat zum Beispiel zu einer Tank/Trog/Teller Problematik geführt. Gemeint ist eine Konkurrenz zwischen Tank, Trog und Teller – also zwischen Biokraftstoffen und Futter- sowie Nahrungsmitteln.

Das hat die gewünschten positiven Ergebnisse der Bioökonomie verzögert. Deshalb ist es wichtig, die Forschung zu den umweltwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Aspekten zu verstärken. Im umweltpolitischen Bereich geht es um Themen wie Technologiefolgenabschätzung, Carbon Footprint und Biodiversität. Im sozialwissenschaftlichen Bereich geht es unter anderem um Standards, gesetzliche Regelungen, Ethik und Landnutzungskonflikte.

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