Christian Witz vom Institut für Prozess- und Partikeltechnik (c) TU Graz
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Biopharmazeutische Medikamente lösen bisher ungelöste Probleme, sind aber sehr aufwändig in der Herstellung. Eine neue Simulations-Software soll das Prozesswissen systematisieren.

Mit biopharmazeutischen Medikamenten lassen sich Krankheiten behandeln, die mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen nicht behandelbar sind. Beispiele dafür sind Multiple Sklerose und Blutarmut, aber auch viele Krebsarten und seltene Krankheiten. Dementsprechend groß ist die Nachfrage. Laut TU Graz basieren bereits sieben der zehn meistverkauften Medikamente auf biopharmazeutischen Wirkstoffen – sind also gentechnisch hergestellt.

Allerdings hat die biopharmazeutische Industrie bislang noch ein großes Effizienzproblem. Chemisch hergestellte Medikamente bestehen aus sogenannten small molecules und sind einfach in Tablettenform herzustellen. Biopharmazeutische Präparate bestehen meist aus hunderten bis tausenden Atomen. Der komplexe Herstellungsprozess basiert auf Mikroorganismen und erfolgt in Bioreaktoren. Das Prozesswissen ist beschränkt. Versuche sind von Erfahrungswerten geleitet und werden nach dem trial-and-error-Prinzip durchgeführt. Dazu Christian Witz vom Institut für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz:

„Momentan fehlt es der biopharmazeutischen Industrie noch an tiefergehendem Prozesswissen. Man weiß zwar, dass der Herstellungsprozess funktioniert, aber nicht warum und wie genau er funktioniert.“

Die Lösung für das Dilemma sieht man in Simulationsprogrammen, die den systematischen Einsatz des Prozesswissens erlauben. Bestehende Lösungen benötigen einen Großrechner, Simulationsexpertise und monatelange Berechnungszeiten. Als solches sind sie schwer zugänglich und zeitintensiv und bringen noch keine wesentliche Erleichterung.

Systematisierung von Prozessen

Probleme, die Witz mit seiner Simulations-Software lösen möchte. Diese soll

  • auf handelsüblichen Grafikprozessoren laufen;
  • von Personen ohne Simulationswissen bedient werden können;
  • eine Simulationszeit von wenigen Stunden haben;

In dieser Konfiguration verkürzt die Software die Fehlersuche und verspricht ein besseres Prozessverständnis.

„Die Firmen benötigen weniger Versuche, um vom Labor in die industrielle Produktion zu kommen und ersparen sich zwischen dreihunderttausend und einer Million Euro.“ Christian Witz

Die Software basiert auf einem Simulationscode für gerührte und begaste Bioreaktoren, den Witz schon 2017 launchte und der bereits in der industriellen Forschung eingesetzt wird. Das Programm simuliert zum Beispiel die Bewegungen von Mikroorganismen im Reaktor oder die Ausbreitung des aus den Luftblasen gelösten Sauerstoffs.

Industriell nutzbares Programm

Im Rahmen des Projekts K-ComBioPro – computergestütztes Prozessdesign entwickelt er die Simulationstechnologie jetzt zu einem industriell nutzbaren Programm weiter. Gemeinsam mit Co-Forscher Hans-Peter Schnöll will er die Funktionen um eine Reihe von Modulen erweitert. Weiters streben die Forscher nach einer Teilautomatisierung der Auswertung der Simulationsrohdaten. Das Projekt läuft bis Mai 2021.

Mit der Implementierung von weiteren Algorithmen sollen die physikalischen und biochemischen Prozesse im Bioreaktor noch genauer abgebildet und das System noch benutzerfreundlicher werden. Damit sollen die wesentlichen Fragen beantwortet werden, die sich im biopharmazeutischen Produktionsprozess stellen:

  • Welche Bedingungen im Bioreaktor regen die Produktivität der Mikroorganismen an?
  • Welchen Einfluss haben die Drehzahl der Rührer oder die Begasungsrate auf den Prozess?
  • Wo im Reaktor wirken zu hohe Scherkräfte auf die Mikroorganismen?

Antworten auf diese Fragen sollen den Unternehmen helfen, die Produktionsverluste im Bioreaktor in einer deutlich verkürzten Simulationszeit zu erkennen.

Baustein für die Industrie 4.0

Weiters soll eine erweiterte Markt- und Wettbewerbsanalyse die Erstellung von Business- und Finanzplänen unterstützen.

Die Forscher sehen in der Technologie einen wichtigen Baustein für die Digitalisierung einer eher konservativen Branche und einen Baustein für die Industrie 4.0.

Mithilfe eines Spin-off Fellowship-Programms der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG kann das Forscherduo jetzt ein eigenes Unternehmen gründen. Der Unternehmensgegenstand ist zweigegliedert in

  • die Durchführung von von biopharmazeutischen beauftragten Simulationen sowie deren Beratung;
  • den Verkauf von Software-Lizenzen an Unternehmen, die ihre Daten nicht teilen und selbst mit dem Programm arbeiten wollen;

Die Simulationsalgorithmen lassen sich übrigens auch auf andere Technologien und Branchen anwenden.

 

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