Team FFoQSI: David Steiner, Rudolf Krska, Michael Sulyok (c) BOKU Wien
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Die Bestimmung von Schadstoffen in Lebensmitteln läuft oft über Erfahrungswerte – aus Kostengründen. Man untersucht auf den einen oder anderen Schadstoff, von dem man weiß, dass er darin enthalten sein könnte. Nicht zuletzt durch den Klimawandel kommt es aber immer öfter zu Überraschungen, weiß Univ.-Prof. Dr. Rudolf Krska, Leiter des Instituts für Bioanalytik und Agro-Metabolomics am Department für Agrarbiotechnologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Seine Forschungsgruppe forscht seit fünfzehn Jahren an der Verbesserung der gängigen Messmethode und entwickelte eine weltweit einzigartige Analysemethode, welche die gleichzeitige Bestimmung unterschiedlicher Substanzklassen ermöglicht. Das System bestimmt 1400 Schadstoffe in 42 Minuten und kann so das Gesamtbelastungsmuster in Lebens- und Futtermitteln besser abbilden. Professor Krska im Interview mit Innovation Origins:

Wie können Schadstoffe in Lebensmittel gelangen?

Wir unterscheiden in Dinge, die passieren, bevor die Produkte auf den Markt kommen und Dinge, die nachher passieren. Pre-market haben wir es mit Lebensmittelzusatzstoffen zu tun und post-market mit prozessindizierten Chemikalien, das sind zum Beispiel Chlorpropanole, die bei bestimmten Verpackungsmitteln aus Papier und Karton als Reaktion auf eine Ausrüstung aus Epichlorhydrin-Harzen entstehen kann.

Unsere Expertise liegt allerdings im Bereich der Agrochemikalien. Wir beschäftigen uns vor allem mit Pestiziden, Tierarzneistoffen und natürlichen Toxinen (Biotoxine). Natürliche Toxine können von Pflanzen, Pilzen (Mykotoxine), Algen (Phytotoxinen), Bakterien et cetera gebildet werden. Nicht vergessen darf man auch den Bereich der Lebensmittelverfälschung. Ein Beispiel dafür ist der chinesische Milchskandal 2008, in dem Melamin in Milchpulver gegeben wurde, um einen hohen Proteingehalt vorzutäuschen. 

Welche Chemikalien werden in der Methode adressiert?

Wir haben uns auf die zwei Bereiche konzentriert, welche die meisten Substanzen beherbergen: die Agrochemikalien, bei denen es allein 500 in der EU zugelassene Pestizide gibt, sowie Tierarzneistoffe und die Vielfalt von fungalen Toxinen (Mykotoxine) und Pflanzentoxinen. Man kann mit einer Methode nicht sämtliche Schadstoffe abbilden, weil sie unterschiedliche chemische Eigenschaften haben. Aber man kann bestimmte Gruppen zusammenfassen und diese in einem Verfahren kombinieren – und das war unser Ansatz. Wir haben erforscht, was wir technisch gleichzeitig erfassen können und das sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Unsere Auswahl an Chemikalien, Toxinen und Pestiziden deckt sich mit dem, was die Europäische Union als die größten Lebensmittelrisiken erfasst hat: Pestizide finden sich auf Platz zwei der Liste und Toxine auf Platz drei.

Wie kommt die Analysemethode zur Anwendung?

Indem wir die Analytik vorantreiben und sagen, was möglich ist, agieren wir prä-kompetitiv. Solche Methoden werden oft auf europäischer Ebene übernommen oder auch validiert. Aber sehr viele Firmen kommen auch zu uns und wollen wissen, welche potenziellen Schadstoffe prinzipiell in ihren Produkten enthalten sind. Bei regulären Analysen scheuen Unternehmen oft Kosten und fokussieren auf die Analyse von regulierten beziehungsweise am häufigsten vorkommenden  Schadstoffe in Lebensmitteln – aber nicht auf die Gesamtheit. Vor kurzem hat uns zum Beispiel ein südafrikanischer Veterinärmediziner gekeimte Gerste, ein Tierfuttermittel, zur Analyse gegeben. Das Problem: Eine Kuh litt an einer neurologischen Krankheit. Wir waren überrascht, dass wir Patulin darin fanden, weil es normalerweise nur in Fruchtsäften vorkommt. Wie wir jetzt wissen, kann es auch in gekeimter Gerste vorkommen – als Folge von Infektionen mit Aspergillen. Patulin ist ein Neurotoxin. Deshalb sollte man es in künftig in bestimmten klimatischen Regionen auch bei Analysen von Futtermitteln einschließen. Genau das ist die Stärke unserer Methode. Sie erfasst ein enorm großes Spektrum von Metaboliten, Schadstoffen und Chemikalien und kann so zur Lösung von Problemen in der Landwirtschaft beitragen.

Wie kann die Methode Schadstoffe in Lebensmitteln messen?

Unsere Methode entspricht grundsätzlich dem was große und moderne Labors machen. Wir verfolgen den Ansatz der Tandem-Massenspektrometrie, bei der Massenanalysatoren hintereinander geschalten sind, um mittels elektromagnetischer Felder, die (ionisierten) Substanzen nach Masse-Ladungs-Verhältnis zu trennen und in der Folge zu detektieren beziehungsweise zu quantifizieren. Wir forschen seit mittlerweile 15 Jahren stetig an der Verbesserung unserer sogenannten Multi-Klassen-Methode, die bereits in renommierten internationalen Zeitschriften publiziert wurde. Beginnend mit ein paar Analyten haben wir uns hinaufgearbeitet und mussten dabei viele Hürden überwinden. Grundlegend war es unter anderem, die Kalibration mit Reinsubstanzen zu schaffen. Wir brauchen für jede zu analysierende Substanz auch eine Referenzsubstanz, um die Konzentration zu bestimmen. Das ist wie bei einer Waage, bei der Gewichte für die Kalibration erforderlich sind. Bei uns sind es Kalibrationslösungen, die auch von uns selbst synthetisierte Substanzen enthalten – und die wir zum Teil über ein weltweites Netz bezogen haben.

Sie haben sich besonders intensiv mit der Minimierung von Matrixeffekten beschäftigt?

Bei den Analysen gibt es leider enorme Auswirkungen in Bezug auf Matrixeffekte. Die zu bestimmenden Substanzen werden vor der Analyse ionisiert  Es entstehen also geladene Moleküle – sogenannte Ionen, die allerdings mit einigen Hauptbestandteilen der Lebensmittelprobe, wie etwa Fette oder Proteine, wechselwirken können.  Dadurch wird das Signal für die Substanz, die ich bestimmen möchte reduziert und es kommt zu Unterbefunden. Es gibt verschiedene Herangehensweisen, um diese Matrixeffekte zu minimieren. Dazu gehören geeignete Verfahren zur Extraktion und leistungsfähige Interfaces zwischen der Flüssigkeitschromatografie und der Massenspektrometrie.  Eine Maßnahme ist auch die Optimierung von elektronischen Parametern. Aber letztendlich kommen wir bei dieser Methode an die Grenzen dessen, was innerhalb der gegebenen Analysezeit machbar ist. Jede Substanz braucht eine bestimmte Zeit für die Aufnahme der Datenpunkte. Wir sprechen von einem Peak. Das ist ein Ausschlag, den ich sehe und den ich quantifizieren kann. Dieser Peak ist in der Regel  15 – 18 Sekunden breit. Wenn ich 1400 Substanzen mit 42 Minuten multipliziere, dann geht sich das zeitlich nicht mehr aus.

Wie haben  Sie das Problem gelöst?

Wir haben nicht über die gesamte Messzeit alle Schadstoffe gemessen, sondern Zeitfenster definiert, in denen jeweils nur nach einer Teilmenge der potenziell vorkommenden Substanzen gescreent wird. Zudem teilen wir den gesamten 42 minütigen Messvorgang quasi in zwei Halbzeiten ein: In der ersten Halbzeit von 21 Minuten messen wir nur die positiv geladenen Stoffe und in der zweiten Halbzeit die negativen Ionen. Wir haben zudem eine neue Strategie entwickelt, um die Aufnahme dieser Datenpunkte zu optimieren. Damit erzielen wir eine ausreichende Anzahl von Datenpunkten, um die Substanz erfassen zu können. Gleichzeitig können wir die Analyse mit hoher Geschwindigkeit durchführen. Die Möglichkeit der Reduktion der  Datenpunkte ist jedoch recht limitiert, weil sich dabei das Signal- oder Rausch-Verhältnis verringert und dadurch die Präzision der Messergebnisse verschlechtert. Wir sind die einzige Gruppe weltweit, die es geschafft hat, die Zahl der möglich vorkommenden fungalen und pflanzlichen Metaboliten inklusive aller Mykotoxine und relevanter Agrochemikalien weit über die 1000er-Marke zu pushen und gleichzeitig, durch die genannten Optimierungsparameter, eine hohe Präzision und Genauigkeit der Analysenresultate zu erreichen. Eine der ersten Anwendungen erfolgte in einer WHO-Studie, die in der Zeitschrift Lancet Planetary Health publiziert wurde.

Auch der Klimawandel beeinflusst die Art von Schadstoffen in Lebensmitteln?

Früher hat man gesagt, das wichtigste Toxin in Mitteleuropa ist Deoxynivalenol und  in Afrika ist es Aflatoxin B1. Aber jetzt haben wir plötzlich Aflatoxine in Serbien. Augenöffner war der Maisskandal 2013, bei dem mit  Aflatoxinen kontaminierter Mais nach Deutschland importiert wurde und zudem serbische Kuhmilch weit über den gesetzlichen Grenzwert mit Aflatoxin-Metaboliten  kontaminiert war. Zwei Jahre später, erlebte dasselbe Gebiet Überschwemmungen und kaltes Wetter und es war  Aflatoxin kaum mehr messbar, aber dafür andere Toxine. 

Danke für das Gespräch.

Die neue Methode wurde im Rahmen der Dissertation von Doktorand David Steiner entwickelt. Die Betreuer, FFoQSI-Area Leiter und BOKU-Professor Rudolf Krska sowie Dr. Michael Sulyok haben bereits zahlreiche wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema publiziert. Diese zählen zu den meist zitierten Arbeiten in diesem Bereich.